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2.3 Ausbau der Spezialnormen für Jugendliche und junge Erwachsene

Der Ausbau bereits bestehender Spezialnormen soll zu einer Verringerung der Inhaftierung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen führen.

Vorschläge:
  • absolute Strafobergrenze von zehn Jahren bei Tatbegehung vor Vollendung des 18. Lebensjahres;
  • keine Mindeststrafdrohungen;
  • Herabsetzung der Höchststrafdrohungen auf zwei Drittel bei Tatbegehung nach Vollendung des 18. und vor Vollendung des 21. Lebensjahres;
  • Tatbegehung vor Vollendung des 25. Lebensjahres als Milderungsgrund;

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Die Entwicklungsphase der Adoleszenz ist eine krisenhafte, von Grenzüberschreitungen geprägte Lebensphase der Identitätsentwicklung. Gerade im Bereich der Normüberschreitungen – auch in Bezug auf strafrechtliche Normen – gibt es in dieser Altersgruppe massive Häufungen. Insbesondere die Altersgruppe der 18- bis 20-Jährigen weist eine besonders hohe Kriminalitätsbelastung auf, die jedoch in den unmittelbar darauffolgenden Altersgruppen (entwicklungsbedingt) deutlich sinkt. Dieses Phänomen ist bereits seit langem beforscht und hängt mit zentralen Entwicklungsaufgaben des Jugendalters, nämlich der Entwicklung persönlicher Autonomie sowie sozialer Integration zusammen. Normübertretung im Sinne des Auslotens von Grenzen ist ein oft notwendiges Begleitphänomen im Prozess der Entwicklung einer individuellen und sozialen Identität.
Ein Haftvollzug in der Entwicklungsphase der Adoleszenz ist aufgrund der stattfindenden Identitätsbildung besonders problematisch, da sich Identität immer nur in Beziehungen entwickeln kann, was dann in der Subkultur des Gefängnisses stattfindet.
Aus diesen entwicklungspsychologischen Erkenntnissen folgt, dass die staatlichen Reaktionen auf strafbares Verhalten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit deutlich geringerer Eingriffsintensität zu wählen sind, als bei Erwachsenen, die die Entwicklungsphase der Adoleszenz bereits abgeschlossen haben. Auf diesem Grundgedanken basieren die dargestellten Vorschläge zu einem Ausbau bereits bestehender Spezialnormen. Durch das JGG-ÄndG 2015 (BGBl I Nr. 154/2015) wurde der Ausbau von Spezialnormen bereits in den folgenden Punkten umgesetzt:

  • absolute Höchststrafe 15 Jahre bei Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres (§ 19 Abs. 1 JGG);
  • Angleichung der Mindeststrafdrohungen bei Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres an die für Jugendstraftaten geltenden Mindeststrafdrohungen (§ 19 Abs. 1 JGG);
    • Ausweitung der Möglichkeiten diversioneller Erledigungen bei Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres wie bei Jugendstraftaten (§§ 7 und 19 Abs. 2 JGG);
  • Schuldspruch ohne Strafe oder unter Vorbehalt der Strafe auch bei Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres (§§ 12 , 13 und 19 Abs. 2 JGG);
  • Ausweitung der Möglichkeiten bedingter und teilbedingter Strafnachsicht bei Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres wie bei Jugendstraftaten (§§ 5 Z 9 und 19 Abs. 2 JGG);
  • gesetzliche Verankerung der Sozialnetz-Konferenz bei Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres (§§ 17a und 35a JGG).

Derzeit sind die meisten Strafdrohungen bei Jugendstraftaten (= Tatbegehung vor Vollendung des 18. Lebensjahres) halbiert (§ 5 Z 4 JGG). Dadurch sind die oben erwähnten entwicklungspsychologischen Erkenntnisse für diese Altersgruppe berücksichtigt. Unberücksichtigt bleibt dabei jedoch, dass die menschliche Entwicklung fließende Übergänge aufweist. Strafdrohungen sollen daher nicht mit Vollendung des 18. Lebensjahres verdoppelt werden, sondern erst stufenweise ansteigen.

Die meisten Vorschläge von NEUSTART in diesem Kapitel orientieren sich an den bereits im Strafrecht etablierten Altersgruppen „Jugendliche“ und „Junge Erwachsene“. Um auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Entwicklungsphase der Adoleszenz nicht mit Vollendung des 21. Lebensjahres beendet ist, sondern durchaus in die Mitte des dritten Lebensjahrzehnts reichen kann, wird vorgeschlagen, eine Tatbegehung vor Vollendung des 25. Lebensjahres als Milderungsgrund zu werten. Es wäre dies eine weitere Abstufung; ab Vollendung des 21. Lebensjahres wären zwar sämtliche Bestimmungen des „Erwachsenenstrafrechts“ anzuwenden, aber der Umstand möglicher entwicklungsbedingter Tatursachen wäre bei der Strafbemessung zu berücksichtigen.