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Wieso gibt es eigentlich keinen Ruhm in der Prävention?

“There is no glory in prevention.” Dieses Zitat schwebte über dem Gewaltschutzgipfel, zu dem am 26.11.2024 zum fünften Mal das Bundesministerium für Inneres einlud und das unter folgender Überschrift stand: „Primär-, Sekundär- und Tertiär-Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt“.

Der prägnante Satz fasst das Präventionsparadoxon des britischen Sozialmediziners Geoffrey Rose zusammen. Dabei ging es ursprünglich um koronale Herzerkrankungen und es besagt folgendes:

  • Präventive Maßnahmen, die für die Bevölkerung und Gemeinschaften einen hohen Nutzen bringen, bieten dem einzelnen Menschen wenig.
  • Präventive Maßnahmen, die einer kleinen (Risiko-)Gruppe einen hohen Nutzen bringen, haben für große Gruppen und Bevölkerungen einen geringen bis gar keinen (positiven) Nutzen.

Vielleicht lässt sich dieses Phänomen auf die Gewaltprävention generell übertragen.

Viel zu oft werden Frauen nach wie vor – weltweit und in Österreich – misshandelt, eingeschüchtert, bedroht, geschlagen, vergewaltigt und getötet. Was also tun, wenn wir uns am Präventionsparadoxon orientieren wollen? Sollen wir überhaupt auf Prävention setzen und wenn ja, auf welche?

Universelle, selektive und indizierte Prävention

Wenn wir eine Differenzierung vornehmen wollen, die dem Präventionsparadoxon entspricht, greifen wir am besten auf eine Differenzierung nach universeller, selektiver und indizierter Prävention zurück. 

  • universelle Prävention bezieht sich auf alle Mitglieder einer Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe, sie werden nicht auf der Basis ihres Risikoniveaus ausgewählt.
  • selektive Prävention bedeutet, dass ausgewählte Gruppen einer Population mit erhöhtem Risiko adressiert werden, ohne dass die zu verhindernde Problematik in der Zielgruppe schon vorhanden ist.
  • indizierte Prävention richtet sich an Personen mit hohem Risiko und ersten Vorzeichen des Problemverhaltens, ohne dass schon eine „klinische“ Diagnose des Problems vorhanden ist.

Gewaltpräventionsberatung

In Österreich ist jede Person, gegen die ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen worden ist, verpflichtet, sich in einem genau vorgegebenen Zeitrahmen bei einer Beratungsstelle für Gewaltprävention zu melden und sich aktiv in einer sechsstündigen Beratung intensiv mit der eigenen Gewalttätigkeit und -bereitschaft auseinander zu setzen. Ziel ist ein sofortiger und anhaltender Gewalt-Stopp. Denn Gewalt darf nie ignoriert oder toleriert werden.

Die Stärke der Angebote der Beratungsstellen für Gewaltprävention liegt in der indizierten Prävention. Sie können wesentlich dazu beitragen, dass die Gesamtbevölkerung in einen niedrigeren Risikobereich rückt. Das ist die zentrale Aufgabe der Gewaltpräventionsberatung und daran sollte sie auch gemessen werden.

Zudem kann die Gewaltpräventionsberatung das eine oder andere Mal dazu beitragen, ein hohes Risiko zu identifizieren und Notfallmaßnahmen einzuleiten. Das ist eine zusätzliche Chance, High-Risk-Fälle rechtzeitig zu erkennen und Situationen zu entschärfen.

Wirksamkeit statt Ruhm

Neben dieser Prävention braucht es im medizinischen Bereich aber auch Früherkennung, etwa durch Vorsorgeuntersuchungen und indizierte Prävention, sobald sich entsprechende Marker zeigen. In der Medizin ist es mit der Prävention alleine nicht getan. Es braucht auch Behandlungen und Rehabilitation. Im Notfall ist es überlebenswichtig, dass Rettungsketten funktionieren.

Umgelegt auf die Gewaltprävention lässt sich demnach feststellen:

Die Wirkung der Beratungsstellen für Gewaltprävention darf nicht isoliert betrachtet werden. Es wäre auch ein Fehler, die eine Intervention gegen eine andere auszuspielen. Erst das Zusammenspiel einer Bandbreite an unterschiedlichen Angeboten kann die erforderliche Kraft entwickelt, geschlechtsspezifische Gewalt zurückzudrängen.

Dazu braucht es starken Opferschutz (Frauen Helpline gegen Gewalt 0800 222 555, Gewaltschutzzentren, Frauen- und Mädchenberatungsstellen, autonome Frauenberatungsstellen bei sexueller Gewalt), Kinderschutz und  freiwillige Angebote für alle, die ihr Verhalten ändern müssen und wollen – von der Männerinfo 0800 400 777, Angeboten der Männerberatungen  bis zu Anti-Gewalt-Trainings, Psychotherapie und psychiatrische Versorgung.

Dazu braucht es ergänzend Maßnahmen im Zwangskontext – von der Bewährungshilfe bis hin zu Angeboten in Justizanstalten. Schlussendlich wird es immer das Zusammenspiel von Interventionen sein, das den entscheidenden Unterschied macht.     

Ruhm ist damit vielleicht nicht verbunden – aber Wirksamkeit.  

Foto (c): BMI/Gerd Pachauer

Über die/den Autor:in

In der Leitung Sozialarbeit zuständig für den Themenkomplex häusliche Gewalt, die Gewaltpräventionsberatung, den elektronisch überwachten Hausarrest, die Prozessbegleitung und den Saftladen.

Nebenberuflich Lektorin an der Sigmund-Freud-Universität und Trainerin, unter anderem in der Fortbildung zur juristischen Prozessbegleitung.
Vor NEUSTART wissenschaftlich und im Opferschutz tätig.

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