In der ausführlicheren Diskussion wird dann meist das Beispiel Spaniens herangezogen: Gefährder würden dort mit Fußfesseln überwacht und gewaltbetroffene Personen könnten sich freiwillig dafür entscheiden, ein Armband zu tragen, das bei einer Annäherung des Gefährders alarmiere.
Dazu ein kurzer Faktencheck:
- In Spanien entscheiden Richter:innen über den Einsatz eines „electronic monitoring“ zur Absicherung von Schutzanordnungen. Die Fußfessel ist keineswegs automatisiert mit einer polizeilichen Maßnahme verbunden.
- In Spanien ist die Möglichkeit des „electronic monitoring“ eine Maßnahme von vielen gegen häusliche Gewalt. So gibt es etwa auch in Lehrplänen Präventionskurse und Ressourcen für Gleichstellungspolitik. Lediglich die „Fußfessel bei häuslicher Gewalt“ zu importieren, wird nicht den gewünschten Effekt erzielen.
- Auch in Spanien gelingt es nicht, das Risiko von Gewalteskalationen bis hin zu (versuchten) Tötungsdelikten mit absoluter Sicherheit einzuschätzen und zu eliminieren. Auch in Spanien wurden Frauen von (Ex-)Partnern getötet, bei denen im Vorfeld lediglich ein geringes Risiko festgestellt wurde.
Die „einfache Lösung“ gibt es leider nicht – und die Fußfessel zu jedem Betretungs- und Annäherungsverbot ist sie ganz bestimmt nicht.
Das Betretungs- und Annäherungsverbot in Österreich ...
In Österreich ist seit über 25 Jahren das Betretungs- und Annäherungsverbot die zentrale Maßnahme, unmittelbar die Sicherheit von gewaltbetroffenen Personen zu erhöhen. Seit Beginn war mit dem Aussprechen der Schutzmaßnahme durch die Polizei das Auslösen einer Interventionskette verbunden: Von jedem Betretungs- und Annäherungsverbot werden unmittelbar Gewaltschutzzentren verständigt und – sollten Minderjährige im Haushalt leben – die Kinder und Jugendhilfe. Damit gibt es die Möglichkeit, dass gewaltbetroffene Personen proaktiv von Gewaltschutzzentren kontaktiert werden und damit gezielte weitere Maßnahmen gesetzt werden können, um die Sicherheit zu erhöhen.
… und die Gewaltpräventionsberatung
Seit 1. September 2021 wird diese Interventionskette vervollständigt um ein Angebot der opferschutzorientierten Täter:innenarbeit: Gefährder:innen, gegen die ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen worden ist, sind verpflichtet, sich mit Expert:innen der Beratungsstellen für Gewaltprävention mit ihrem gewaltbereiten oder gewalttätigen Verhalten auseinanderzusetzen und aktiv Veränderungen anzugehen, mit dem Ziel eines sofortigen Gewaltstopps.
Der Fachbegriff der „opferschutzorientierten Täter:innenarbeit“ bezieht sich auf den Artikel 16 der Istanbul-Konvention und bedeutet, dass die Sicherheit, die Unterstützung und die Menschenrechte der Opfer ein vorrangiges Anliegen sind bei Angeboten für Täter:innen. Das Fachforum für das Gelingen eines solchen Vorhabens ist in Österreich der Dachverband vernetzter Opferschutz und opferschutzorientierte Täterarbeit.
Das Gebot der Verhältnismäßigkeit
Auch wenn die Sicherheit von gewaltbetroffenen Personen Vorrang hat, ist dennoch aus rechtsstaatlicher und menschenrechlicher Sicht der Eingriff in die Rechte von Gefährder:innen möglichst gering zu halten und jedenfalls verfahrensrechtlich entsprechend den verfassungsrechtlichen Garantien zu gestalten. Zu bedenken ist dabei auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Oder an einem plakativen und verkürzten Beispiel veranschaulicht: Kann man unter dem alleinigen Aspekt der maximalen Sicherheit für potentiell gewaltbetroffene Personen jemanden in Haft nehmen, der:die zu Hause die Gulaschsuppe im Zorn an die Wand geschmissen hat? Unter dem alleinigen Aspekt der maximalen Sicherheit für potentiell gewaltbetroffene Personen ist es die beste Maßnahme, jemanden in Haft zu nehmen, der:die zuhause die Gulaschsuppe im Zorn an die Wand geschmissen hat. Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit wird jedoch anders zu beantworten sein.
Rascher Schutz durch die Exekutive
Betretungs- und Annäherungsverbot haben den Vorteil, dass sie rasch auf der Basis einer unmittelbaren Gefährdungsprognose durch die einschreitenden Exekutivbeamt:innen ausgesprochen werden können. Daran knüpfen sich Rechtsfolgen, wie etwa die Verpflichtung, ein Beratungsangebot in Anspruch zu nehmen – bei sonstiger Geldstrafe.
Selbstverständlich gibt es in Österreich darüberhinausgehende Schutzmöglichkeiten, die dann auf richterlichen Entscheidungen beruhen – mit rechtlichem Gehör, der Möglichkeit zu Rechtsmitteln und allem weiteren, was einen Rechtsstaat ausmacht. In Österreich gibt es die Möglichkeit, Personen fest- und in Untersuchungshaft zu nehmen. Darüber entscheidet ein:e Richter:in auf Antrag der Staatsanwaltschaft. Ein Haftgrund ist beispielsweise die „Tatbegehungsgefahr“ (§§ 170 ff Strafprozessordnung).
Ein Betretungs- und Annäherungsverbot setzt nicht voraus, dass die Schwelle zu strafrechtlich relevantem Verhalten bereits überschritten ist. Und es ist für den raschen Schutz und das unmittelbare Einschreiten wesentlich, dass das auch so bleibt.
Die „Fußfessel“ ist bereits jetzt in Österreich eine etablierte Vollzugsform für Straf- und Untersuchungshaft. Im Zivilrecht gibt es die Möglichkeit, auch das Unterlassen von Handlungen gerichtlich zu erzwingen (§ 355 Exekutionsordnung) – durch Geldstrafe oder im Wiederholungsfall durch Haft (die wieder durch eine Fußfessel vollzogen werden könnte).
Wie bestehende rechtliche Instrumente in Österreich für den Gewaltschutz optimal eingesetzt werden können und welche Lücken tatsächlich geschlossen werden müssen, sollte – wie auch von den Gewaltschutzzentren angeregt – vor einer Gesetzesänderung fachlich diskutiert werden.