Kennen Sie Snapchat? Wenn nicht, dann hier ein paar erläuternde Sätze: Snapchat ist ein Messenger-Dienst, mit dem man Fotos und Videos verschicken kann. Soweit so unaufregend. Snapchat unterscheidet sich jedoch von anderen Apps dadurch, dass der verschickte Content nach wenigen Sekunden verschwindet. Wobei „verschwinden“ relativ ist, denn ein Screenshot ist schnell gemacht.
Und damit steuern wir auf den Kern der Problematik zu. Mit dem Aufkommen von Snapchat und anderen Messenger-Diensten ist unter Jugendlichen das Verschicken von pornografischen Inhalten in Mode gekommen. Häufig handelt es sich dabei um selbst produzierte Bilder und Videos. Über die negativen Folgen für die dargestellten Personen und für die Versender selbst wird oft nicht nachgedacht. Schon Jugendliche, die so ein explizites Foto von anderen Jugendlichen weiterschicken, kommen mit dem Gesetz in Konflikt und verstoßen gegen Paragraf 207a des Strafgesetzbuches (StGB). Insbesondere wenn es sich um Cybermobbing handelt, ist es auch wichtig, dass Grenzen aufgezeigt werden. Die Motive Jugendlicher sind allerdings ganz andere als jene pädophiler Sexualstraftäter.
Der massive Anstieg dieser Delikte lässt die Alarmglocken schrillen und veranlasst die Regierung zur Planung einer Kinderschutzkampagne und zur Stärkung der Ermittlungsarbeit. Das ist wichtig und notwendig. Auch eine Erhöhung der Strafen ist geplant.
Zur Bewertung dieses Vorhabens lohnt sich ein tieferer Blick in die Statistik. Gab es im Jahr 2012 noch 584 Tatverdächtige nach Paragraf 207a, waren es 2021 schon 2.147. Besonders ins Auge springt die Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen. 2012 waren 47 Minderjährige darunter, 2021 waren es 1.073. Das ist die Hälfte aller Verdächtigen. Ein paar weitere Zahlen gefällig? Der Anteil der tatverdächtigen Kinder – also Buben und Mädchen unter 14 Jahren – ist mit 408 größer als jener der über 40-Jährigen mit 375. Bei den Kindern handelt es sich übrigens zu rund einem Drittel um Mädchen.
Der zeitliche Zusammenhang zwischen dieser Entwicklung und dem Entstehen neuer Messenger-Dienste ist kein Zufall. Einige der Verdächtigen landen bei uns – entweder in der Bewährungshilfe oder in der Diversion. Ein Kern der sozialarbeiterischen Intervention ist die intensive Auseinandersetzung mit der Tat.
Die einzigen Gemeinsamkeiten, die jugendliche Straftäter mit pädophilen Sexualstraftätern verbinden, sind der Paragraf, gegen den sie verstoßen haben, und unser sozialarbeiterische Auftrag, mit ihnen daran zu arbeiten, nicht wieder delinquent zu werden. Wie wir das tun, unterscheidet sich deutlich. Für manche Minderjährige mag das Strafrecht die passende Antwort haben.
Die Mehrzahl allerdings braucht etwas anderes: sozialpädagogische und im Einzelfall therapeutische Angebote, Normverdeutlichung, Entwicklung von Empathie für Opfer und – ganz wichtig – mehr Medienkompetenz. Das Strafrecht bildet nur die Spitze des Eisberges ab. Mit Strafverschärfungen werden wir dieses Problem in den Kinder- und Jugendzimmern nicht lösen.