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Totschlagargumente in der Gewaltprävention

Dem Tod stehen wir immer ohnmächtig gegenüber. Der Grund für die Verzweiflung ist gleichzeitig der einzige Trost: Der Tod gehört untrennbar zum Leben und ist somit unsere einzige Gewissheit. Nur für den gewaltsamen Tod kann dies niemals gelten: Der gewaltsame Tod durch Mord und Totschlag muss und darf nicht sein. Er ist das größte Unrecht, das jemandem angetan werden kann, wenn ihr oder ihm das Recht auf ein weiteres Leben abgesprochen wird.


Alle Kolleg:innen, die sich in Opferschutz und Täterarbeit engagieren sowie alle Kooperationspartner:innen bei Justiz und Exekutive setzen ihr Wissen und ihre Erfahrungen im Berufsalltag dafür ein, Hochrisikofälle zu identifizieren und zu „entschärfen“. Das gelingt beispielsweise durch die Erhöhung von Sicherheitsmaßnahmen, etwa indem Betroffene dazu ermutigt werden, Schutz in einem Frauenhaus zu finden. Das gelingt durch die Arbeit mit Tätern, die dazu motiviert werden, auf Gewalt zu verzichten und in einer Krisensituation Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Und es gelingt durch Polizeieinsätze, die zu Betretungs- und Annäherungsverbot führen und – im Fall unmittelbar drohender großer Gefahr zu Untersuchungshaft.

There is no glory in prevention


In den Jahren der Corona-Maßnahmen wurde der Satz geboren: „There is no glory in prevention.“ Gelungene Präventionsarbeit wird nicht wahrgenommen und von der Öffentlichkeit nicht gewürdigt. Es lassen sich keine Statistiken führen mit Daten zu Fällen, die „gerade noch einmal“ gut gegangen sind oder die im besten Fall schon rechtzeitig von einer gefährlichen Entwicklung abgewendet werden konnten. Erfolge in der Präventionsarbeit sind nicht spektakulär und lassen sich nicht in Schlagzeilen formuliere.

Es ist jedoch auch nicht ratsam, den Weg einzuschlagen, das „Versagen“ von Präventionsmaßnahmen und von Gewaltschutz zu skandalisieren. Wir treten bei NEUSTART jeden Tag an mit dem Ziel, Kriminalität zu verhindern. Eine Erfolgsgarantie können wir dabei nicht abgeben.

Ob eine Tat begangen wird oder nicht, liegt alleine in der Entscheidungshoheit einer potentiellen Täterin oder eines potentiellen Täters. Eine Risikoeinschätzung kann nach allen Regeln der Wissenschaft und Kunst vorgenommen werden, valide, reliabel und objektiv sein. Der Blick in die Zukunft bleibt uns dennoch verwehrt.

Die Verengung des laufenden Diskurses auf Femizide, wenn häusliche Gewalt das Thema sein sollte, birgt auch Fallen:
Gewalttäter, die „nur“ drohen, schlagen und erniedrigen sehen sich in Relation zu Mördern und Totschlägern immer noch als erträgliche Zeitgenossen. Sie sind es aber nicht. Weder für ihre Partnerinnen, noch ihre Kinder oder die Gesellschaft.

Wer die Angst und Furcht in den Augen der Familienangehörigen erkennt, sollte sich nicht dadurch beruhigen können, dass er ihnen „eh nie was Schlimmes“ antun könnte. Vielmehr gilt es hier schon, Hilfsangebote zu machen und zu motivieren, das gewaltbereite und einschüchternde Verhalten sofort zu verändern.

Und nicht zuletzt muss überlegt sein, was die öffentliche Diskussion von vermeintlichem Versagen bei Polizei und Justiz und die fehlenden Ressourcen bei den Opferschutzeinrichtungen bei potenziell Betroffenen auslöst. Viel zu oft suchen Betroffene keine Unterstützung, weil sie befürchten, dass ihnen ohnehin niemand helfen könne. Diesen Pessimismus zu fördern und mit Argumenten zu füttern erhöht nicht deren Sicherheit.

Über die/den Autor:in

In der Leitung Sozialarbeit zuständig für den Themenkomplex häusliche Gewalt, die Gewaltpräventionsberatung, den elektronisch überwachten Hausarrest, die Prozessbegleitung und den Saftladen.

Nebenberuflich Lektorin an der Sigmund-Freud-Universität und Trainerin, unter anderem in der Fortbildung zur juristischen Prozessbegleitung.
Vor NEUSTART wissenschaftlich und im Opferschutz tätig.

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