Bitte stell dich kurz vor
Mein Name ist Wioletta Rührer, ich bin vor kurzem 42 Jahre alt geworden und wohne in Purkersdorf in Niederösterreich.
In welcher NEUSTART Einrichtung und welchem Bereich arbeitest Du?
Bei NEUSTART Wien – beim Nicki (Anm. Nikolaus Tsekas leitet die Einrichtung NEUSTART Wien 1). Zu meiner Arbeit gehören die Bewährungshilfe, die Gewaltpräventionsberatung und die Leitung eines Teams ehrenamtlicher Bewährungshelfer:innen. Außerdem mache ich Dialog statt Hass und das schon von Anfang an – ich bin seit der Projektentwicklung 2018 mit an Bord.
Seit wann bist du bei NEUSTART?
Im April waren es fünf Jahre, also seit 2017.
Gibt es so etwas wie einen typischen Arbeitstag für dich? Falls ja, wie sieht dieser aus?
Typisch kann man kaum sagen in der Bewährungshilfe (lacht). Am nächsten Tag kann immer alles anders sein, als man heute denkt. Ich mache es jedenfalls so, dass ich recht früh komme – normalerweise zwischen 7.30 und 8 Uhr – und die ruhige Zeit vor 9 Uhr für konzentrierte Schreibarbeiten und die Dokumentation nutze. Seit Einführung der Gewaltpräventionsberatung ist das ein bisschen anders geworden, weil die Klient:innen oft auch schon ganz in der Früh kommen. Und so geht es dann bis 14-15 Uhr durch mit Klient:innen-Terminen. Eine fixe Planung ist bei uns kaum möglich, weil zwischendurch immer wieder Termine reinkommen oder Klient:innen dringende Bedürfnisse haben, die priorisiert werden müssen. Ich schaue, dass ich mir deshalb jeden Tag 1-2 Stunden für so etwas freihalte.
Warum hast du dich für NEUSTART als Arbeitgeber entschieden?
Das hat mich Nicki damals im Vorstellungsgespräch auch gefragt. Ich habe mich schon als ich vor 20 Jahren nach Österreich gekommen bin sehr für Resozialisierung interessiert und wollte den Schwächeren im System helfen. Ich erinnere mich noch genau an das NEUSTART Plakat mit dem schwarzen und dem weißen Schaf – das mir damals sofort aufgefallen ist. Als ich das gesehen habe, konnte ich noch nicht einmal deutsch (lacht). Ich habe dann Sozialpädagogik und schließlich auch Soziale Arbeit studiert. Während meines Studiums wurden die ersten Planstellen für Sozialpädagogik bei der Justiz geschaffen und das habe ich mir nicht entgehen lassen. Dort habe ich das Justizsystem gut kennengelernt aber auch gemerkt, dass es schwierig ist, innerhalb der Grenzen dieses Systems etwas zu bewirken. Meine Hoffnung, dass ich bei NEUSTART mehr bewegen kann, hat sich kurz darauf erfüllt, als es mit meiner Bewerbung geklappt hat. Ich war damals wirklich positiv überrascht, dass ich aus so vielen Bewerber:innen ausgewählt wurde. Für mich macht es einfach Sinn, mich hier einzubringen.
Was gefällt dir an deiner Arbeit am besten?
Ganz klar die Flexibilität – nicht nur was die Arbeitszeit betrifft, sondern auch die Gestaltungsmöglichkeiten, die wir haben. Wir können Klient:innen flexibel und bedürfnisorientiert unterstützen – nicht nur nach „Schema F“. Wir haben in Wien das Glück, dass es so viele Möglichkeiten zur individuellen Begleitung gibt. Das Ziel ist vorgegeben aber es kann auf den verschiedensten Wegen erreicht werden. In den drei bis fünf Jahren der Betreuung haben wir Zeit, Dinge auszuschöpfen.
Was sind die größten Herausforderungen in deinem Job?
Alles unter einen Hut zu bekommen. Mit der Gewaltpräventionsberatung hat sich viel verändert, daran müssen wir uns noch gewöhnen. Ich hätte gerne mehr Zeit für meine Klient:innen – vielleicht liegt das aber auch an mir und meinem sozialpädagogischen Background (lacht). Es ist jedenfalls herausfordernd zu steuern, wer gerade wie viel Zeit und Unterstützung braucht und bekommt – ein Gleichgewicht zu finden trotz aller Normen. Man muss sich Zeit nehmen – Zeit finden – für Klient:innen in Ausnahmesituationen. Außerdem ist es unmöglich, dass sich alle mit allem gleich gut auskennen, deswegen bin ich froh, dass wir in Wien so viele sind und wir uns gegenseitig unterstützen können.
Wo hast du gesehen, dass deine Arbeit etwas bewirkt?
Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sehe ich das oft. Das sind Menschen, die in einer intensiven Lebensphase – der Pubertät – durch alle Netze und Systeme gefallen sind. In dieser Zeit bieten wir ihnen oft die einzige begleitende Kontinuität. Wenn die Klient:innen dann nach drei bis fünf Jahren eine eigene Wohnung haben, einen Lehrabschluss, … dann sehe ich ganz deutlich, was unsere Arbeit bewirkt. Dinge werden erreicht, die Leute gewinnen Selbstvertrauen. Dieses „Halten und Aushalten“ ist überhaupt eine Stärke von uns. Immer wieder sagen mir Klient:innen, dass wir die einzigen sind, die sie als Menschen wertschätzen und – trotz ihrer Straftat – würdevoll behandeln. Wir sind oft die einzigen, die diese Menschen über Jahre hinweg begleiten. Aufgrund der niedrigen Fluktuation bei NEUSTART bleiben ihnen ihre Ansprechpersonen langfristig erhalten. Das gibt ihnen Halt.
Wie findest du persönlich Ausgleich zu deinem Job?
Ich mag meine Arbeit, sie belastet mich nicht sonderlich. Ich engagiere mich auch in meiner Freizeit ehrenamtlich, zum Beispiel in der Ukraine-Hilfe und in einem Krisen-Interventionsteam beim Roten Kreuz. Außerdem mache ich gerne Sport – Radfahren und Spazieren – und verbringe viel Zeit mit meinem Kind und meinem Hund. Gemeinsam mit Freund:innen organisiere ich außerdem gerade ein Sommercamp für Kinder aus der Ukraine. Wer uns dabei unterstützen möchte, kann sich gerne bei mir melden (Anm.: wioletta.ruehrer@neustart.at).
Gibt es sonst noch etwas, das du mit deinen Kolleg:innen teilen möchtest?
Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr unser Sommercamp unterstützt aber auch, wenn ihr etwas anderes macht, um Menschen in eurem Umfeld zu helfen. Nutzt eure Ressourcen. Außerdem ist es wichtig, dass man neben der Arbeit noch etwas anderes macht und seine Fälle nicht „mit nachhause“ nimmt. Vergesst nicht darauf, die Dinge zu tun, die euch Spaß machen!