Bitte stell dich kurz vor. In welcher Region und seit wann engagierst du dich als ehrenamtliche Bewährungshelferin?
Ich heiße Susanne Fischer, bin 56 Jahre alt und studierte Juristin. Ich bin seit 2003 Ehrenamtliche bei NEUSTART Oberösterreich. Früher im Team Ebensee und seit einigen Jahren in Vöcklabruck – wo ich auch wohne. Als ich jünger war, wollte ich nicht an meinem Wohnort ehrenamtlich tätig sein, um nicht den Klient:innen beim Fortgehen über den Weg zu laufen (lacht).
Warum hast du dich für dieses Ehrenamt entschieden? Was gefällt dir daran am besten?
2003 war eine Zeit, wo ich gerade im „Aufblühen“ war – young, free and single (lacht) – und dachte, ich werde keine eigenen Kinder haben können. Deshalb habe ich mich nach ehrenamtlichen Beschäftigungen umgesehen. Damals habe ich auch schon ehrenamtlich für Amnesty International gearbeitet. Ein Kollege von der Sachwalterschaft hat mich dann auf NEUSTART aufmerksam gemacht, weil er sich selbst hier engagiert hat. Mich hat es – als Abwechslung zu meinen „braven Mädels“ bei Amnesty – sehr gereizt, mit den „bösen Buben“ zu arbeiten. Was natürlich ein Blödsinn ist, weil meine Klient:innen alle sehr lieb sind und waren. Generell gefällt mir die Arbeit mit jungen Menschen gut. Ich habe eine Zeit lang auch gerne und ganz bewusst mit eher schwierigen Klient:innen gearbeitet. Das hat sich geändert, als ich 2009 überraschend doch Mutter geworden bin, dann wollte ich wieder die „Einfachen“. Ich finde die Arbeit bei NEUSTART spannend, auch wenn sie manchmal frustrierend ist.
Und was machst du hauptberuflich?
Ich arbeite als Erwachsenenvertreterin beim Vertretungsnetz – früher hat man „Sachwalterschaft“ gesagt.
Wie ergänzen sich dein Ehrenamt und Hauptberuf gegenseitig? Profitiert das eine vielleicht sogar vom anderen?
Ehrlich gesagt muss ich mir bei der Bewährungshilfe oft selbst „auf die Finger klopfen“, weil ich es gewohnt bin, alles für meine Klient:innen zu erledigen. Ich betreue derzeit sogar hauptberuflich einen Klienten, den ich zuvor ehrenamtlich bei NEUSTART begleitet habe, wo wir dann gegen Ende der Bewährungszeit draufgekommen sind, dass er eigentlich eine:n Erwachsenenvertreter:in braucht. Ich profitiere in beiden Berufen davon, dass ich die Soziallandschaft in der Region gut kenne – zum Beispiel die Schuldnerberatung. Durch das Ehrenamt bei NEUSTART habe ich Vieles aber auch erst kennengelernt, worauf ich in meinem Hauptberuf zurückgreifen kann.
Was sagt dein Umfeld dazu, dass du ehrenamtliche Bewährungshelferin bist? Welche Rückmeldungen bekommst du, wenn du davon erzählst?
So viel rede ich darüber eigentlich gar nicht. Oft bekomme ich aber schon Rückmeldungen wie: „Dass du dir das traust!“ oder „Ist das nicht gefährlich?“. Es ist aber total unterschiedlich. Richtig negative Reaktionen waren eigentlich noch nie dabei.
Wie viele Klient:innen begleitest du derzeit?
Es geht ein bisschen auf und ab aber ich betreue immer um die fünf Klient:innen.
Gibt es Klient:innen-Typen mit denen du besonders gerne und konstruktiv arbeitest? Also liegen dir bestimmte demografische Gruppen oder Delikt-Arten mehr als andere?
Es liegt nicht am Delikt, sondern an der Person. Ob es gut funktioniert, hängt von den Menschen ab. Derzeit läuft es mit vier meiner Klient:innen sehr gut, mit einem aber leider weniger… da merke ich einfach, dass er oft nicht die Wahrheit sagt. Sehr spannend war zum Beispiel einmal eine Bankräuberin, die ich vor vielen Jahren begleiten durfte.
Gibt es so etwas wie eine typische Betreuungssituation? Wie laufen die Termine mit deinen Klient:innen ab?
Ich gehe nicht strikt nach „Schema F“ vor, sondern lasse den Dingen Zeit sich zu entwickeln. Man muss das jedes Mal aufs Neue auf sich zukommen lassen. Die Arbeitsweise hat sich in den letzten Jahren ja auch stark verändert. Weg von „ja nicht übers Delikt reden“, hin zur Deliktverarbeitung. Jeder Termin ist anders. Seit der Pandemie gehe ich zum Beispiel gerne mit den Klient:innen spazieren, das habe ich früher nie gemacht, schätze es inzwischen aber sehr. Ganz schwierig finde ich es in der elterlichen Wohnung. Was ich auch gerne mache, sind Treffen im Kaffeehaus, das ist aber nicht immer einfach, weil ich nicht will, dass meine Klient:innen bei den Terminen auch noch Geld ausgeben müssen… und immer kann ich sie auch nicht einladen (lacht).
Was sind die größten Herausforderungen in der Arbeit mit Straffälligen?
Da möchte ich eine konkrete Geschichte erzählen, die für mich sehr zermürbend war. Ich habe vor vielen Jahren einen staatenlosen Klienten begleitet, der durch alle Netze gefallen ist. Er war durch Bekannte in irgendwelche Überfälle verstrickt, ist dann illegal ausgereist und wurde Jahre später erwischt, nachdem Interpol nach ihm gefahndet hat. Er kam in Haft und später zur Bewährungshilfe. Er hatte keine Meldung, kein Einkommen, keine legale Arbeitsmöglichkeit… Wir haben uns in der Bewährungshilfe drei Jahre lang „im Kreis gedreht“. Sein einziger Ausweg war eigentlich, wieder straffällig zu werden. Ich war damals auch viel in Kontakt mit der Rechtsabteilung von NEUSTART und meine Teamleiterin war eine große Stütze. Sie hat mich oft „heruntergeholt“, wenn ich nicht mehr weiterwusste. Ich bin damals einfach am System verzweifelt – auch daran, wie die Fremdenpolizei mit ihm umgegangen ist…
Woran merkst du ganz konkret, dass deine ehrenamtliche Arbeit etwas bewirkt?
Immer wieder im Rückblick. Wenn ich merke, wie viel sich getan hat und welche Vertrauensbasis aufgebaut wurde. Viele melden sich auch nach der Bewährungszeit weiterhin bei mir.
Wie findest du persönlich Ausgleich zu deinem Job und Ehrenamt? Was machst du in deiner Freizeit?
Ich bin nach wie vor auch bei Amnesty International ehrenamtlich tätig, fahre gerne Rad, lese, reise, gehe ins Kino oder ins Theater. Und meine Tochter gibt es ja auch noch – die muss ich zum Reiten bringen, zum Geigenunterricht, …
Gibt es sonst noch etwas, das du mit unseren Leser:innen teilen möchtest?
Ich habe es nie bereut, Bewährungshilfe zu machen, obwohl sich der Aufwand, seit ich begonnen habe, schon sehr verändert hat. Danke an meine super Teamleiter:innen, die immer ein offenes Ohr haben und immer sofort zurückrufen, wenn man Unterstützung braucht.