Bitte stell dich kurz vor:
Ich heiße Rudolf Feichtinger, werde aber lieber Rudi genannt, bin 31 Jahre alt und seit ungefähr zehn Jahren in Salzburg zuhause. Ursprünglich komme ich aus Oberösterreich, bin aber fürs Studium hergezogen und geblieben.
In welcher NEUSTART Einrichtung und welchem Bereich arbeitest du?
Bei NEUSTART Salzburg in der Abteilung 2. Meine Hauptbereiche sind Bewährungshilfe, elektronisch überwachter Hausarrest, Anti-Gewalt-Training und Dialog statt Hass.
Seit wann bist du bei NEUSTART?
Seit Anfang 2017.
Warum hast du dich für NEUSTART als Arbeitgeber entschieden?
(Lacht) ich habe NEUSTART tatsächlich als Klient kennengelernt. Mit 15 musste ich bei NEUSTART Wels gemeinnützige Arbeit erbringen. Damals habe ich mir gleich gedacht, dass dieser Beruf spannend ist. Nach der Matura wollte ich deshalb Soziale Arbeit an der FH studieren, wurde aber leider nicht genommen. Ich habe dann Pädagogik studiert und gleichzeitig ein Praktikum im SAFTLADEN gemacht. Danach habe ich zwei Jahre bei Exit 7, einer Jugendnotschlafstelle der Caritas Salzburg, gearbeitet. Die Nachtdienste waren auf Dauer aber wirklich viel… Ich habe mich für einen Wechsel entschieden und zufällig war zeitgleich bei NEUSTART Salzburg eine Stelle ausgeschrieben.
Gibt es so etwas wie einen typischen Arbeitstag für dich? Falls ja, wie sieht dieser aus?
Typisch… naja, es gibt schon viele Ausnahmen. Nicht jeder Tag ist ein „Standard Tag“. Meistens bin ich gegen 9 Uhr im Büro, trinke einen Kaffee, lese meine E-Mails und erledige Anrufe. Danach geht es los mit Klient:innen-Terminen im Büro oder unterwegs. Natürlich kommt es immer wieder auch zu Unterbrechungen. Manche Tage beginnen auch schon um 8 Uhr mit einem Gerichtstermin. Wenn ich es mir selbst aussuchen kann, beginne ich aber am liebsten um 9 Uhr und treffe ab 10 Uhr meine Klient:innen.
Was gefällt dir an deiner Arbeit am besten?
Genau diese freie Zeiteinteilung, dank unseres Gleitzeitmodells. Gerade im elektronisch überwachten Hausarrest finden viele Termine am Abend statt, weil die Klient:innen ja tagsüber arbeiten. Dafür bin ich an anderen Tagen teilweise schon zu Mittag fertig. Das genieße ich schon sehr. Und natürlich taugt mir die Arbeit mit den Klient:innen einfach, sonst könnte ich sie ja gar nicht machen. Unsere Arbeit an sich ist sinnvoll. Das zu wissen, freut mich. Ich möchte nicht für den zweiten Porsche irgendeines CEO arbeiten, sondern etwas mit einem Nutzen für die Gesellschaft tun.
Du bist, unter anderem, Spezialist für unser Programm „Dialog statt Hass“. Was kann man sich darunter vorstellen? Welche Menschen kommen dafür zu uns?
Dabei vermitteln wir Medienkompetenz an Menschen, deren Kommentare auf Social Media gegen das Gesetz verstoßen haben und die uns deswegen vom Gericht zugewiesen wurden. Das sind keine ideologisch verhärteten Klient:innen, also beispielsweise keine Neonazis, sondern Menschen, die in einer Impulshandlung einen Kommentar abgegeben haben. Oft sind die Klient:innen zwischen 40 und 50 Jahre alt und es hat ihnen einfach noch nie jemand erklärt, wie Social Media überhaupt funktioniert. Bei Dialog statt Hass lernen sie das und auch, warum ihre Handlungen dort strafbar sein können. Wir vermitteln ihnen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Diese Menschen haben oft wenig bis gar keine Ahnung von den rechtlichen Aspekten. Dialog statt Hass zeigt ihnen Möglichkeiten auf, sich online rechtskonform auszudrücken, ohne jemanden zu diskriminieren und gegen Gesetze zu verstoßen. Dazu gehört natürlich auch, ihnen zu erklären, was eine „Bubble“ überhaupt ist und dass ihr Algorithmus ihnen nur einen punktuellen Ausschnitt zeigt. Auch, dass nicht alles automatisch stimmt, nur weil es irgendwo auf Facebook steht. Was sind Fake News? Wie unterscheide ich seriöse von unseriösen Quellen? Solche Dinge.
Was sind die größten Herausforderungen in der Arbeit mit diesen Klient:innen? Wie erreichst du sie, um konstruktiv mit ihnen arbeiten zu können?
Wir haben, etwa im Vergleich zu Wien, weniger Zuweisungen und entsprechend auch weniger Erfahrungswerte. Was mir am Anfang aber immer auffällt, ist, dass sich diese Menschen zu Unrecht verurteilt fühlen. Sie haben kein Schuldbewusstsein und sagen mir zum Beispiel, dass wir uns lieber um „die echten Verbrecher“ kümmern sollen. Sie diskutieren oft irrsinnig viel herum, bevor es „ans Eingemachte“ geht. Bei meinem ersten Dialog statt Hass Klienten habe ich mich auf diese Diskussion zu viel eingelassen und musste erstmal wieder ein paar sprichwörtliche Schritte zurück machen, um das Gespräch wieder auf eine andere Ebene zu bringen. Es geht eben nicht darum, politische Meinungen zu diskutieren oder gar zu verändern, sondern darum, adäquate Ausdrucksformen für die eigenen Wut zu finden, die keinen Gesetzesbruch darstellen. Verschiedene politische Meinungen sind, solange sie verfassungskonform sind, ok. Wir wollen niemanden umerziehen.
Was bedeutet „Medienkompetenz“ für dich konkret? Wie schaffst du es, sie bei denen Klient:innen nachhaltig zu stärken?
Im Zusammenhang mit Social Media bedeutet Medienkompetenz für mich, darüber Bescheid zu wissen, dass wir uns alle in unserer eigenen „Bubble“ bewegen und zu erkennen, dass das nur ein kleiner Ausschnitt vom großen Ganzen ist. Zu wissen, was ein Algorithmus ist und seriöse von unseriösen Quellen unterscheiden zu können. Dafür zeige ich meinen Klient:innen Seiten wie Mimikama und oder die umgekehrte Bildersuche auf Google, mit der man beispielsweise schnell erkennt, wenn ein Bild von Fluchtbewegungen aus den 1990er Jahren in einem völlig anderen Kontext verbreitet wird. Medienkompetenz heißt auch, nicht alles unhinterfragt zu glauben. Wenn Klient:innen das einmal verstehen, sind impulsive Kommentare bereits viel unwahrscheinlicher. Außerdem gehört dazu auch das Wissen, dass man im Internet nicht anonym unterwegs ist. Dinge, die man hier postet sind potenziell für immer gespeichert und selbst wenn man sie löscht, hat vielleicht schon jemand einen Screenshot davon gemacht. Man kann dafür belangt werden.
Woran erkennst du, dass deine Arbeit mit diesen Klient:innen wirkt?
Da fällt mir die Geschichte eines Klienten ein, der nach Dialog statt Hass seine Social Media Nutzung komplett umstrukturiert hat. Er ist bewusst allen politischen Seiten und Profilen entfolgt und hat nur noch solche abonniert, die mit seinem Hobby zu tun hatten – der Gärtnerei. Seinen politischen Informationsbedarf deckt er seither nur noch über seriöse Quellen, nicht mehr auf Facebook. Durch die Beschäftigung mit den Gefahren, hat er erkannt, dass das für ihn der beste Weg ist. Eine sehr positive Entwicklung!
Hat sich deine eigene Online- und Social Media Nutzung seit deiner Arbeit mit „Dialog statt Hass“ verändert?
Jein. Bei mir hat sich die Einschulung in das Programm mit einer Zeit überschnitten, wo ich meine Social Media Nutzung generell gerade umgestellt habe. Ähnlich wie der Klient aus dem Beispiel folge ich nur noch unpolitischen Profilen zu meinen verschiedenen Interessen. Politische Dinge lese ich lieber auf seriösen Seiten. Und, ich lese konsequent keine Kommentare mehr – für meinen eigenen Seelenfrieden (lacht) – weil auch diese immer nur einen kleinen Ausschnitt zeigen. Facebook und Co. sollen Spaß machen und deswegen habe ich diese Dinge aus meinem Algorithmus verbannt.
Wie findest du persönlich Ausgleich zu deinem Job?
Musik ist bei mir ein ganz großes Thema, ich gehe gerne auf Konzerte. Außerdem Lesen und selber Schreiben, ich habe bereits zwei Fantasy-Romane veröffentlicht. Wer sich dafür interessiert, findet sie unter meinem Autorennamen „Rudolf A. Feichtinger“. Ich mache gerne Sport, in erster Linie Schwimmen und Kampfsport.
Gibt es sonst noch etwas, das du mit deinen Kolleg:innen teilen möchtest?
Ja, Spaß an der Arbeit zu haben. Unsere Arbeit ist sehr oft schwierig, wenn wir irgendwann keinen Spaß mehr daran haben, wird es kritisch. Deswegen ist es so wichtig, einen guten Ausgleich zu finden, eine gute Balance zwischen Beruf und Privatleben. Und… über den eigenen Social Media Konsum nachdenken (lacht)!
Foto: © feel image/Matern