Bitte stell dich kurz vor
Hallo! Ich heiße Maximilian Zirkowitsch, bin 40 Jahre alt und wohne in Linz.
Warum hat es dich als Wiener nach Linz verschlagen?
Ich hab mich sehr glücklich in eine Linzerin verliebt und war nach ein paar Jahren der Fernbeziehung überdrüssig. Deswegen habe ich beschlossen, mir hier Arbeit zu suchen.
In welcher NEUSTART Einrichtung und welchem Bereich arbeitest Du?
Bei NEUSTART in Linz bin ich in der Bewährungshilfe und Gewaltpräventionsberatung tätig. Außerdem kümmere ich mich ein bisschen um Social Media und beginne bald mit Workshops für jugendliche Geflüchtete.
Seit wann bist du bei NEUSTART? Was hast du vorher gemacht?
Seit Oktober 2023. Mein erster Arbeitstag war denkwürdig, weil ich scheußlich krank wurde und mich röhrend auf mehreren Stockwerken übergeben habe. Seitdem ist jeder Tag besser. Davor war ich im psychosozialen Gesundheitszentrum der jüdischen Gemeinde beschäftigt. Und insgesamt habe ich auch elf Jahre in der Flüchtlingshilfe gearbeitet.
Warum hast du dich nach dieser langen Zeit in der Flüchtlingshilfe für einen Wechsel zu NEUSTART als Arbeitgeber entschieden?
Mit der Straffälligkeit von Klient:innen war ich immer wieder befasst und deswegen auch fallweise in Austausch mit Bewährungshelfer:innen. Das waren durchwegs erfreuliche Begegnungen. NEUSTART war für mich abgespeichert als bürokratisch, gut strukturiert und professionell. Deswegen war ich neugierig auf die Tätigkeit. Dass der Verein als zivilgesellschaftlicher Akteur auftritt, ist mir wichtig. Ich will ja integer bleiben. Also hab ich mich beworben. Davor waren, unter anderem, Überlebende der nationalsozialistischen Verfolgung und Schwertraumatisierte meine Klient:innen. Danach mal mit Täter:innen zu arbeiten, ist doch nur logisch.
Was macht die AG Soziale Arbeit, die du in der Migrationsgesellschaft der Österreichischen Gesellschaft für Soziale Arbeit mitbegründet hast, konkret?
Die ogsa wurde auf Initiative der Fachhochschulen für Soziale Arbeit gegründet und soll den Fachdiskurs weiterentwickeln und stärken. Nachdem ich auch eine Zeit lang an der FH unterrichten konnte, habe ich mich von Beginn an eingebracht. In unserer Arbeitsgemeinschaft veranstalten wir regelmäßig Vorträge und Diskussionen. Kürzlich haben wir eine Anthologie herausgegeben: Soziale Arbeit in der Postmigrationsgesellschaft. Kritische Perspektiven und Praxisbeispiele aus Österreich. Der Titel ist im Juventa Verlag erschienen. Ich musste die Arbeit an meinem Beitrag leider aus privaten Gründen einstellen und Kolleg:innen haben ihn fertiggestellt. So bin ich immerhin noch eine Fußnote im Buch.
Du hast in deiner Bewerbung noch dezidiert ausgeschlossen, in der Gewaltpräventionsberatung zu arbeiten. Inzwischen hast du große Freude an dieser Dienstleistung. Woher kam die ursprüngliche Ablehnung und warum der Sinneswandel?
Ich habe in all meinen beruflichen Tätigkeiten immer über mehrere Jahre mit Klient:innen gearbeitet und konnte mir nicht vorstellen, Gefallen an so kurzzeitigen Arbeitsbeziehungen zu finden. Auch dass so kurze Kontakte eine Veränderung bewirken würden, war fraglich für mich. Mittlerweile bin ich sehr angetan davon, wieviel möglich ist und wie rasch Menschen sich öffnen können. Außerdem bleibt es so immer abwechslungsreich.
Die Gewaltpräventionsberatung hat heuer ihr 3-jähriges Jubiläum gefeiert. Kannst du kurz zusammenfassen, wie die Betreuung in dieser noch jungen Dienstleistung abläuft und worin sie sich von unseren anderen Angeboten unterscheidet?
Der größte Unterschied ist wohl, dass die Beratung nicht in einem justiziellen, sondern polizeilichen Zusammenhang stattfindet. Meine Klient:innen sind nicht verurteilt für die Anlasstat, die zur Verhängung des Betretungs- und Annäherungsverbots geführt hat. Wir haben den Anspruch, den Nutzer:innen der Beratung dabei zu helfen, nicht mehr in solche Situationen zu geraten. Manche sind zutiefst erschüttert, manche leugnen die Tat, andere halten Gewalt für ein taugliches Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen. Je nach Lebensumständen und -welten passe ich mich an und lasse mich auf das Gegenüber ein, ohne die Ablehnung von Gewalt und die Möglichkeit zur Gewaltlosigkeit aus dem Blick zu verlieren.
Was sind dabei die größten Herausforderungen?
Ich hatte bereits mehrfach Minderjährige, auch Unmündige, in der Beratung und meine, dass für Zehn- oder Zwölfjährige ein Betretungsverbot nicht das Mittel der Wahl zur Erreichung pädagogischer Ziele ist. Da müsste nach meinem Dafürhalten das Gesetz verbessert werden. Mitunter sind die Menschen, die kommen müssen, materiell in einer herausfordernden Situation. In der kurzen Zeit, die uns für die Beratung zur Verfügung steht, fällt es mir manchmal schwer, die Balance zwischen Opferschutz, Gewaltprävention und Stabilisierung der Lebensverhältnisse zu halten.
Woran merkst du konkret, dass schon diese sechs Stunden einen Unterschied machen können, dass die Gewaltpräventionsberatung wirkt?
Puh! Erfolg ist, wenn die Menschen, trotz der Strafdrohung bei Nichterscheinen, kommen. Ich bin bemüht, sehr transparent in meiner Arbeitsweise zu sein und meine Motive bei Interventionen offenzulegen. Entsprechend fordere ich auch immer am Schluss Feedback ein. Ein ehemaliger Klient hat mich unmittelbar nach seiner Verurteilung angerufen. Er müsse ein Anti-Gewalt-Training absolvieren und wolle das gleich bei mir machen. Das war ein schöner Augenblick.
Gibt es, unabhängig davon, eigentlich so etwas wie einen typischen Arbeitstag für dich? Falls ja, wie sieht dieser aus?
Mein Arbeitstag beginnt immer damit, mir einen Krug frisches Wasser zu holen und einen Blick in den Kalender zu werfen. Ab dann wird’s spannend. Das schätze ich an meinem Job allerdings auch.
Was gefällt dir an deiner Arbeit am besten?
Ich habe das Vergnügen, unterschiedlichste Menschen kennenzulernen und den beruflichen Auftrag mich auf sie einzulassen, mich in ihrer Welt zu orientieren und in Austausch zu kommen. Das bereichert mich. Und ich lache gerne. Dazu gibt es genügend Anlass in meinem Job.
Wie findest du persönlich Ausgleich zu deinem Job?
Noch mehr Lachen, Familie und Freund:innen. Früher hab ich auch ein bisschen Kabarett gemacht.