Marion, du arbeitest hauptberuflich bei WOBES, einem Verein, der Wohnplatz und den Besuch tagesstrukturierender Werkstätten anbietet. Was genau ist deine Aufgabe?
Zu mir kommen Personen, die auf Grund einer psychiatrischen Erkrankung oder Auffälligkeit in der Regel nach Paragraphen 21/1 oder 21/2 verurteilt, über Jahre in einer Justizanstalt betreut und behandelt wurden und nun am Weg in die Freiheit stehen. Dabei müssen sie ein Stufenprogramm bis zu ihrer Entlassung und darüber hinaus in der weiteren Weisungszeit absolvieren. Als Ergotherapeutin arbeite ich in einer der Werkstätten und begleite die Klient:innen bei Beschäftigung, Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit oder Erhalt ihrer Ressourcen.
Was passiert in diesen Werkstätten?
Wir haben sieben verschiedene Werkstätten und arbeiten mit ganz unterschiedlichen Methoden. Der Schwerpunkt in der Ergotherapie liegt auf handwerklichen und künstlerischen Tätigkeiten. Wir arbeiten mit unterschiedlichen Materialen, wir machen Lederarbeit, Buchbinden, Korbflechten. Wir bemühen uns natürlich, dass wir Interessen und Fähigkeiten unseren Klient:innen berücksichtigen. Wenn jemand gerne mit Holz oder Metall arbeitet, dann legen wir darauf einen Schwerpunkt.
Was ist das Ziel dieser Arbeit?
Die Arbeit in den Werkstätten ist ein Beschäftigungsprojekt. Es geht darum bestimmte Grundfähigkeiten zu schulen, wie zum Beispiel Aufmerksamkeit. Besonders wichtig ist es auch, eine Tagesstruktur zu schaffen und mit den Klient:innen individuell auszuloten, wie lange sie konzentriert arbeiten können, wann sie Pausen brauchen, welche Tätigkeiten ihnen liegen, was sie stresst, ob es für sie Möglichkeiten am ersten oder zweiten Arbeitsmarkt gibt.
Das klingt nach einer langfristigen Zusammenarbeit mit deinen Klient:innen.
Ja, wir arbeiten zwischen drei und zwölf Jahren mit unseren Klient:innen. Anfangs kommen sie oft täglich, damit wir sie unterstützen, den Alltag zu strukturieren. Gegen Ende wird es immer seltener.
Langfristige Beziehungsarbeit ist auch ein Kennzeichen deines ehrenamtlichen Engagements bei NEUSTART in Wien. Wie kam es dazu?
Ich war in meiner hauptberuflichen Tätigkeit immer wieder mit sozialarbeiterischen Themen konfrontiert. Als Ergotherapeutin habe ich allerdings einen anderen Grundberuf und konnte den Klient:innen diesbezüglich überhaupt nicht weiterhelfen, sondern sie immer nur an andere Stellen verweisen. Auch wenn das natürlich auch eine Möglichkeit ist, hat es mich nicht befriedigt – also kam die Idee auf, mich sozialarbeiterisch ein wenig nachzuschulen – warum nicht gleich durch Praxiserfahrung. Mir gefällt die Abwechslung sehr, je nach zugewiesenem:r Klient:in bin ich mit anderen Fragestellungen konfrontiert und es stellt sich kaum Routine ein. So lerne ich immer wieder dazu welche Stellen, welche Hilfsangebote es gibt.
Wie ergänzen sich dein Ehrenamt und Hauptberuf gegenseitig? Profitiert das eine vielleicht sogar vom anderen?
Ich sag mal: Mein Plan ging auf! Durch die ehrenamtliche Tätigkeit habe ich nach all den Jahren schon ein Maß an Sicherheit für sozialarbeiterische Themen dazugewonnen, aber auch die Gewissheit, dass es ebenfalls in Ordnung ist, etwas nicht zu wissen und nachzufragen. Gerade bei NEUSTART profitiere ich sehr von meinem Team und von den Teamleitern, da wir uns oft austauschen oder uns gemeinsam die Köpfe zerbrechen. Und auch umgekehrt ist die Erfahrung durch meinen Hauptberuf hilfreich – vor allem, wenn Klient:innen, die ich bei NEUSTART betreue, in psychische Krisen oder Auffälligkeiten rutschen.