Bitte stell dich kurz vor. In welcher Region und seit wann engagierst du dich als ehrenamtliche Bewährungshelferin?
Ich heiße Christine Lahmer, bin 62 Jahre alt und Ehrenamtliche bei NEUSTART Steiermark in Leoben. Zum ersten Mal war ich 1984-86 als ehrenamtliche Bewährungshelferin beschäftigt. Die tolle theoretische und praktische Einschulung von damals ist mir noch immer in sehr guter Erinnerung. Aus beruflichen Gründen, ich war als Junglehrerin zeitlich einfach ausgelastet, musste ich das Ehrenamt damals leider zurücklegen. Ich hatte aber immer im Hinterkopf, dass ich das wieder machen möchte, sobald es sich irgendwie ausgeht… Mehr als zehn Jahre später war es dann so weit: Seit März 1997 bin ich wieder dabei.
Warum hast du dich für dieses Ehrenamt entschieden? Was gefällt dir daran am besten?
Für mich ist das einfach eine sinnvolle, wichtige Tätigkeit. Es erfüllt mich sehr, dass ich hier etwas bewegen kann.
Und was machst du hauptberuflich?
Ich bin Diplompädagogin und war bis zu meiner Pensionierung 2020 als Arbeitsassistentin beschäftigt. Davor war ich Lehrerin und lange bei meinen drei Kindern zuhause, die inzwischen schon erwachsen sind.
Wie ergänzen sich dein Ehrenamt und ehemaliger Hauptberuf gegenseitig? Profitiert das eine vielleicht sogar vom anderen?
Da gibt es sehr viele Parallelen, der einzige Unterschied ist eigentlich, dass es bei der Arbeitsassistenz um die Vermittlung geht und im Ehrenamt um die Deliktfreiheit. Die Arbeit mit Menschen, mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, steht in beiden Bereichen im Zentrum. Von vielen Seminaren und Fortbildungen, die ich während meiner Berufslaufbahn besuchen durfte, hat beides profitiert.
Was sagt dein Umfeld dazu, dass du ehrenamtliche Bewährungshelferin bist? Welche Rückmeldungen bekommst du, wenn du davon erzählst?
Am Anfang, in den 80er Jahren, gab es tatsächlich große Skepsis. Viele haben mich gefragt, ob das nicht gefährlich ist. Dem habe ich aber schnell den Wind aus den Segeln genommen, weil wir Ehrenamtlichen ja keine harten Delikte, wie Mord oder Sexualstraftaten, bearbeiten. Mittlerweile hat sich das sehr zum Positiven gewandelt. Ich konnte sogar einige ehemalige Kolleg:innen für das Ehrenamt gewinnen und auch meine jüngere Schwester ist gerade eingestiegen – für sie passt das sehr gut, weil sie jetzt in Altersteilzeit ist.
Wie viele Klient:innen begleitest du derzeit?
Vier, drei Männer und eine Frau. Sie sind zwischen 26 und 53 Jahren alt.
Gibt es Klient:innen-Typen mit denen du besonders gerne und konstruktiv arbeitest? Also liegen dir bestimmte demografische Gruppen oder Delikt-Arten mehr als andere?
Durch meine langjährige Tätigkeit habe ich schon die ganze Palette an Delikten und Menschen kennengelernt. Jeder Fall ist aufs Neue reizvoll und bringt neue Herausforderungen mit sich. Meine lange Erfahrung macht es mir leicht, in neue Fälle hineinzuwachsen. Ich habe hier überhaupt keine Präferenzen.
Gibt es so etwas wie eine typische Betreuungssituation? Wie laufen die Termine mit deinen Klient:innen ab?
Der erste persönliche Kontakt ist ganz wichtig. Ich erzähle zuerst immer ein bisschen über mich, damit die Klient:innen sehen, dass ich auch ein Mensch bin (lacht). Ich möchte, dass sie sehen, dass ich keine zusätzliche Strafe bedeute, sondern eine Unterstützung sein kann. Außerdem erkläre ich ihnen, was überhaupt der Auftrag der Bewährungshilfe ist. Bevor das Delikt bearbeitet werden kann, muss eine Vertrauensbasis aufgebaut werden. Die Klient:innen müssen merken, dass ich ihnen wertschätzend begegne und sie nicht verurteile. Ich versuche immer, ihre gesamte Lebensgeschichte und ihr Umfeld einzubeziehen. Meine Klient:innen treffen sich nicht so gerne auf der Dienststelle, ich gehe lieber mit ihnen in den Park oder ins Kaffeehaus, manchmal mache ich auch Hausbesuche.
Was sind die größten Herausforderungen in der Arbeit mit Straffälligen?
Die richtige Balance aus Über- und Unterforderung zu finden. Darauf muss man wirklich achten, denn irgendwann ist die Bewährungshilfe vorbei und dann müssen die Klient:innen selbstständig sein. Ich muss ihnen das Rüstzeug mit auf den Weg geben, damit sie nicht gleich wieder in die Deliktfalle tappen. Das ist eine Gratwanderung. Hausbesuche, wo Familienangehörige dabei sind, sind in dieser Hinsicht besonders schwierig, weil einem diese oft gleich „etwas umhängen“ wollen, worum man sich kümmern soll…
Woran merkst du ganz konkret, dass deine ehrenamtliche Arbeit etwas bewirkt?
Wenn die gemeinsam gesetzten Ziele erreicht werden und die Probezeit ohne erneutes Delikt abgeschlossen werden kann. Das ist für mich immer eine positive Bestätigung.
Wie findest du persönlich Ausgleich zu deinem Job und Ehrenamt? Was machst du in deiner Freizeit?
Ich organisiere sehr gerne Familientreffen, was in der heutigen Zeit ja gar nicht so einfach ist. Diese Treffen geben mir sehr viel Kraft und sind echte Highlights für mich. Außerdem bin ich zum Abschalten gerne draußen in der Natur und habe drei Hauskatzen, mit denen es immer sehr lustig ist… aber auch anstrengend (lacht). Ich halte mich aber auch geistig fit und mache Kreuzworträtsel und Sudokus. Außerdem liebe ich es, Dokumentationen zu schauen, da bin ich vielseitig interessiert: Antike, Natur, Geologie, …
Gibt es sonst noch etwas, das du mit unseren Leser:innen teilen möchtest?
Egal welches Ehrenamt – jedes davon ist wichtig und sinnvoll für die Gesellschaft. Jede:r muss für sich selbst herausfinden, wo die eigenen Neigungen sind. So lange ich noch darf, so lange ich es geistig und körperlich schaffe, bleibe ich NEUSTART als Ehrenamtliche erhalten.