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#TeamNEUSTART: Barbara Ponweiser

Barbara Ponweiser legt großen Wert auf den Beziehungsaufbau, damit die Arbeit mit ihren Klient:innen gelingen kann. Ihr großes Steckenpferd ist das Whiteboard…

Bitte stell dich kurz vor
Hallo, ich heiße Barbara Ponweiser, bin 39 Jahre alt und wohne im Bezirk Neunkirchen.

In welcher NEUSTART Einrichtung und welchen Bereichen arbeitest Du?
Bei NEUSTART Niederösterreich und Burgenland in der Abteilung 3 in Wiener Neustadt. Ich betreue Klient:innen in der Bewährungshilfe, Gewaltpräventionsberatung und, allerdings auslaufend, im elektronisch überwachten Hausarrest. Außerdem mache ich auch Anti-Gewalt-Trainings und in weiterer Zukunft werde ich auch Entlassungsgruppen begleiten.

Seit wann bist du bei NEUSTART? Und warum hast du dich für NEUSTART als Arbeitgeber entschieden?
Seit März 2023. Davor habe ich, nach meinem Bachelorstudium, ein halbes Jahr lang in der Suchtberatung gearbeitet und hatte dort bereits mit Weisungsklient:innen, die im Zwangskontext gekommen sind, zu tun. Dabei habe ich festgestellt, dass mich mehr die Komplexität der Lebenswelten interessiert als vordergründig die Suchtthematik. Schon während meines Studiums, konkret in meiner Bachelorarbeit, habe ich mich mit Gewalt – in Hinblick auf die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft – befasst. Als dann zufällig eine Stelle bei NEUSTART in Wiener Neustadt ausgeschrieben wurde, habe ich diese Chance, meine Interessen aus dem Studium und meiner damaligen Arbeit zu kombinieren, sofort ergriffen: Mit allergrößtem Enthusiasmus habe ich Weihnachten 2022 meine Bewerbung abgeschickt (lacht).

Aus vielen Gesprächen mit Kolleg:innen weiß ich, dass die Beziehungsarbeit mit unseren Klient:innen wesentlich ist, damit eure Arbeit überhaupt ihre Wirkung entfalten kann. Wie sieht das in der Praxis aus? Mit welchen Interventionen in der Betreuung machst du besonders gute Erfahrungen?
Alleine wie ich die Klient:innen in Empfang nehme, ist schon Beziehungsarbeit. Aber ich setze ganz viel auf die Methodik der motivierenden Gesprächsführung und arbeite gerne mit sogenannten „Impact Methoden“, viel mit Stiften, mit Farbe und spielerischen Elementen. Kurz: Ich mag alles, womit meine Klient:innen ins Handeln kommen und etwas mit ihren Händen machen. Ganz oft nehme ich Gegenstände in die Termine mit, um Dinge zu visualisieren – zum Beispiel eine Wasserschüssel und einen Schwamm, um aufzuzeigen, dass man auf seine Ressourcen achten muss, einen leeren Stuhl, um einen Perspektivenwechsel anzuregen oder ich lege am Boden Quadranten auf, die die Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart repräsentieren. Mein Steckenpferd ist aber das Whiteboard (lacht) – darauf Zusammenhänge zu skizzieren wirkt viel mehr, als nur darüber zu reden und hat gleichzeitig auch für mich einen großen Mehrwert, um Zusammenhänge besser einordnen zu können.

Sind in dieser Hinsicht eigentlich alle Klient:innen ähnlich? Also würdest du sagen, es gibt gewisse Methoden oder Zugänge in der Beziehungsarbeit, die universell funktionieren?
Bevor irgendwelche Methoden zum Tragen kommen können, ist wichtig, dass die Grundbedürfnisse meiner Klient:innen gedeckt sind. Und das funktioniert bei 99,5 Prozent aller Klient:innen. Das fängt schon damit an, dass ich mich beim ersten Termin beim Empfang bei ihnen vorstelle und am Weg ins Büro im Stiegenhaus Smalltalk mit ihnen führe, ihnen, oben angekommen, ein Glas Wasser anbiete, … Ich schaffe Erwartungssicherheit, in dem ich ihnen gleich am Anfang erkläre, woran wir heute arbeiten werden. Damit vermittle ich ihnen: „Deine Bedürfnisse und deine Befindlichkeit sind wichtig. Du wirst gesehen, du wirst gehört“. Wenn ich zum Beispiel merke, dass jemand die Jacke anlässt und sich mit der Tasche am Schoß ganz ins Eck der Couch zwängt, dann versuche ich, dieses Unbehagen aufzugreifen, nicht zu ignorieren und zu signalisieren „Deine Befindlichkeit und der Umgang damit haben hier Platz“. Denn oft entwickelt sich erst dann auch Offenheit für die Perspektive von Opfern oder anderen Beteiligten, was für meine Arbeit essentiell ist.

Wie gehst du damit um, wenn Klient:innen absolut keine Bereitschaft mitbringen, sich auf die Betreuung einzulassen?
Das hängt total vom Leistungsbereich ab. Im elektronisch überwachten Hausarrest ist das zum Beispiel nicht der Fall, da sind die Leute in der Regel dankbar und froh, dass sie in dieser Vollzugsform sind. Bei der Bewährungshilfe muss man Geduld mitbringen, da dauert es einfach, bis Klient:innen wirklich sicherer und offen sind. Oft werden Termine nicht wahrgenommen, kurzfristig abgesagt oder verschoben, weil es – zum Beispiel aufgrund von psychischen Störungen oder ADHS – schwieriger ist, sie verlässlich einzuhalten. An den notwendigen Ressourcen, damit es mit den Terminen klappt, arbeiten wir dann zuerst, was wiederum die Beziehung stärkt. Bei der Gewaltpräventionsberatung ist es anders, weil sie ja viel dichter, komprimierter und intensiver angelegt ist. In der ersten Einheit gebe ich den Klienten trotzdem ganz bewusst Zeit, ihre Perspektive darzustellen – oft bagatellisieren sie zu diesem Zeitpunkt noch und gehen in die Opferrolle. Diesen Raum gebe ich ihnen, um die Gesprächsbasis zu bereiten. Ich höre ihnen zu und erkenne ihren Leidensdruck an – meist klappt das sehr gut. Anders ist es, wenn sie aggressiv werden, Drohungen gegen mich aussprechen, die ich nicht zulassen kann, Grenzen überschreiten und in den Modus „Angriff als Verteidigung“ gehen. In solchen Fällen habe ich auch schon Termine abgebrochen. Bisher war das drei Mal der Fall. Je nachdem was konkret vorgefallen ist, besprechen wir das im nächsten Termin nach und/oder ich melde den Vorfall.

Wie ordnest du in dieser Hinsicht den Zwangskontext ein, in dem wir agieren? Die Klient:innen kommen ja in der Regel, weil sie müssen und nicht weil sie wollen. Wie schaffst du es, dass aus diesem „Müssen“ ein „Wollen“ wird und wie lange dauert dieser Beziehungsaufbau zu Beginn?
Ganz unterschiedlich. Die regelmäßigen verpflichtenden Termine über diesen langen Zeitraum sind ja doch ein Eingriff in die Autonomie und das Leben. Ich habe aber auch Klient:innen, die sich auf die Termine freuen. Mit einem Bewährungshilfe Klienten hatte ich allerdings selbst nach 15 Monaten noch Grundsatzdiskussionen und er war mir gegenüber aggressiv. Das war nicht mehr tragbar, deshalb habe ich ihn schließlich abgegeben. Der Kollege, der ihn dann übernommen hat, ist auch nicht weitergekommen und hat einen Aufhebungsantrag bei Gericht gestellt. Es kommt nämlich schon auch auf die Passung zwischen Klient:in und Bewährungshelfer:in an. Am Ende des Tages sind wir auch nur Menschen und mit manchen kann man besser als mit anderen.

Hand aufs Herz wie viele „harte Nüsse“ gibt es, die sich bis zum Schluss nicht knacken lassen?
Diese Formulierung finde ich sehr hart. Wenn man versucht Nüsse zu knacken, fallen Splitter, an denen sich jemand verletzen könnte. Schöner finde ich das Bild einer Schüssel mit warmem Wasser, in das man die Nuss legt. Die Schale weicht auf und vielleicht sprießt sogar ein Pflänzchen aus ihr. Aber ja, manche Nüsse bleiben auch einfach unter Wasser liegen und halten die Luft an (lacht).

Wie gehst du damit um?
Dann reden wir darüber, wie „unfair das alles ist“ und ich suche einen Zugang zu diesen resignativen Gefühlen, zu diesen Emotionen, zu diesem Ohnmachtsgefühl. Das ist sonst anstrengend und es geht sich für beide Seiten energiemäßig nicht aus, wenn wir den Druck nicht rausnehmen. Ich fordere nicht, sondern stelle ein Angebot, erkläre aber schon, dass ein Mindestmaß an Kooperation notwendig ist und dass ich eine Berichtspflicht habe, zeige auf, welche Folgen und Konsequenzen es gibt. Wenn jemand, obwohl die Folgen bekannt sind, nicht will, gestehe ich diese Entscheidungsfreiheit zu.

Was sind für dich, unabhängig davon, die größten Herausforderungen in deiner Arbeit?
Sie ist sehr dicht an großen, intensiven Emotionen. Das erfordert ein hohes Maß an Selbstfürsorge. Es macht schon etwas mit einem, mit so viel Leidensdruck konfrontiert zu sein. Rein organisatorisch ist eher wenig Platz für Austausch. Man muss wirklich gut auf sich schauen.

Was gefällt dir insgesamt an deiner Arbeit bei NEUSTART am besten?
Ich mag meine Kolleg:innen total gerne. Wirklich! Ich bin umgeben von tollen, inspirierenden Leuten und authentischen Emotionen. Anders als in der Privatwirtschaft, wo es heißt: „Der Kunde ist König“. Das ist sehr bereichernd. Mir gefallen außerdem die Flexibilität und freie Zeiteinteilung. Auch meine Klient:innen inspirieren mich, weil sie in wirklich schweren, herausfordernden und oft belastenden Lebenswelten ihr Leben ordnen. Es ist schön, teilhaben zu dürfen, wenn sie beginnen, sich besser um sich selbst zu kümmern.

Wo hast du gesehen, dass deine Arbeit etwas bewirkt?
In den Erzählungen von Klient:innen, die Situationen inzwischen anders bewerten und sich entsprechend anders verhalten. Ganz konkret fällt mir ein Klient der Gewaltpräventionsberatung ein, der mich angerufen hat, um mir zu sagen, wie bereichernd er unsere Termine erlebt hat. Ich habe mit ihm die Übung mit dem Schwamm und der Wasserschüssel gemacht, bei der es darum geht, dass man sich seine Energie – das Wasser – einteilen muss, um nicht so leer wie der ausgedrückte Schwamm zu sein. Er hat mir am Telefon mehrmals gesagt, dass er nicht der Schwamm sein will. Es hat mich sehr berührt, dass er durch diese Übung einen Zugang zur Selbstfürsorge gefunden hat.

Wie findest du persönlich Ausgleich zu deinem Job?
Viel Stille (lacht) – wobei ich auch sehr gerne singe, male und zeichne. Ich gehe gerne Bouldern und mache Stand Up Paddling, außerdem stelle ich für mein Leben gerne meine Möbel um, ich nenne das „Möbel-Tetris“ (lacht).

Gibt es sonst noch etwas, das du mit unseren Leser:innen teilen möchtest?
Ich absolviere gerade zwei NEUSTART Lehrgänge, nämlich den Lehrgang Straffälligenhilfe und den Lehrgang für Entlassungsgruppen und dabei treffe ich so viele Kolleg:innen, die mich begeistern und berühren. Bei uns arbeiten großartige, umsichtige Leute. Es ist schön zu wissen, dass es dieses Netzwerk gibt.

Über die/den Autor:in

Laura Roth ist seit 2019 Teil des Kommunikations-Teams des Vereins NEUSTART. Ihre Schwerpunkte sind die interne Kommunikation und unsere Newsletter. In unserer Serie #TeamNEUSTART holt sie regelmäßig Kolleg:innen aus ganz Österreich vor den Vorhang

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