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#TeamNEUSTART: Annemarie Sutterlüty

Annemarie Sutterlüty ist schon seit 1980 – und nach wie vor mit Begeisterung und aus Überzeugung – ehrenamtliche Bewährungshelferin. Auch hauptberuflich war sie 37 Jahre lang als Sozialarbeiterin tätig – für (Ex)-Prostituierte und deren Umfeld…

Bitte stell dich kurz vor. In welcher Region und seit wann engagierst du dich als ehrenamtliche:r Bewährungshelfer:in?
Ich bin die Annemarie Sutterlüty, 68 Jahre alt und lebe in Vorarlberg. Ich gehöre zum Team Ehrenamtlicher von NEUSTART Bregenz. Als ehrenamtliche Bewährungshelferin engagiere ich mich – nach wie vor mit Begeisterung und aus Überzeugung – seit 1980.

Warum hast du dich für dieses Ehrenamt entschieden? Was gefällt dir daran am besten?
Bereits ab meinem 18. Lebensjahr hatte ich regelmäßige Besuchs- und Briefkontakte mit Gefangenen in den Justizanstalten in Karlau, Garsten und Stein. Damals erhielt ich einen Ausweis von „Missio Minorum“ in Wien, die mich als aktive Mitarbeiterin führten, dadurch kam ich leicht in die Gefängnisse. Ich spürte damals schon viel „innere Not“ bei den Gefangenen und ich stellte sie mir im Erstkontakt als Baby vor, also dass sie nicht „so“ geboren wurden, wie sie „jetzt“ sind. Und ich fragte mich, was ist seither passiert? Ich verstand mich stets als Goldgräberin, in jeder:m Einzelnen die vorhandenen, vielleicht verschütteten, verborgenen, verschmutzten Goldkörner zu suchen und zu finden. Das gefällt mir an dieser Arbeit und ich finde sie spannend, schwer und schön zugleich. Es war immer meine große Frage, wie es den Betroffenen geht, wenn sie entlassen werden? Daher sagte ich für dieses Ehrenamt zu, als ich angefragt wurde.

Und was machst du hauptberuflich?
Bis im Dezember 2023 war ich 37 Jahre lang als Sozialarbeiterin für Prostituierte, Ex-Prostituierte und deren Umfeld tätig. Ausstiegshilfe und Weiterbegleitung war mein primäres Programm. Jetzt arbeite ich ehrenamtlich weiter. Parallel dazu arbeitete ich 40 Jahre in der Buchhaltung im Familienbetrieb.

Wie ergänzen sich dein Ehrenamt und ehemaliger Hauptberuf gegenseitig? Profitiert das eine vielleicht sogar vom anderen?
Sehr sogar! Aus vielen dramatischen, leidvollen Lebensbiographien wurden mir sehr wertvolle, hilfreiche Erkenntnisse geschenkt, Einblicke gewährt, die mir kostbar waren und bei mir „Lichter aufgehen ließen“, was für meine ehrenamtliche Tätigkeit sehr hilfreich war. Zahlreiche Klient:innen hatten Eltern aus dem Rotlichtmilieu, das mir von der beruflichen Arbeit her vertraut war. Auch meine langjährige Erfahrung als Buchhalterin war sehr hilfreich für schwierige Schuldensanierungen.

Was sagt dein Umfeld dazu, dass du ehrenamtliche Bewährungshelferin bist? Welche Rückmeldungen bekommst du, wenn du davon erzählst?
Sie würden gerne „spannende Geschichten“ hören. Ich erfahre sowohl Neugierde als auch Anteilnahme und echtes Interesse. Der Rotaryclub Bregenzerwald gründete für meine Arbeit mit „Menschen am Rande“ einen Fonds, dadurch unterstützen sie mich. Mehrfach fragten mich Lehrer:innen und Professor:innen von höheren Schulen, ob ich nicht eine:n Haftentlassenen mitbringen könne, die:der von ihrem:seinem Leben und Gefängniserfahrungen erzählen mag.

Wie viele Klient:innen begleitest du derzeit?
Derzeit begleite ich drei Klient:innen. Habe aber auch zu einigen ehemaligen Klient:innen nach wie vor guten Kontakt. Unabhängig davon habe ich in verschiedenen Justizanstalten in Österreich derzeit Kontakt zu sieben Gefangenen und deren Angehörigen.

Gibt es Klient:innen-Typen mit denen du besonders gerne und konstruktiv arbeitest? Also liegen dir bestimmte demografische Gruppen oder Delikt-Arten mehr als andere?
Ja, ich bevorzuge männliche Klienten aus dem Rotlicht-Drogen-Rockermilieu. Das war immer schon so, ich hatte schon früh Kontakt zu Menschen aus diesen Milieus und das ist vermutlich auch lebensgeschichtlich bedingt, ich habe fünf Brüder.

Gibt es so etwas wie eine typische Betreuungssituation? Wie laufen die Termine mit deinen Klient:innen ab?
Termine werden telefonisch gemacht, vorzugsweise wünschen die Klient:innen ein Treffen im Café. Sie sind zu 99 % da oder entschuldigen sich rechtzeitig. Mit einigen führe ich Gespräch zuhause, wenn niemand zuhört. Manchmal machen wir gemeinsam einen Friedhofsbesuch, wenn gerade eine wichtige Person aus ihrem Umfeld verstorben ist.

Was sind die größten Herausforderungen in der Arbeit mit Straffälligen?
Vertrauen gewinnen, absolute Verlässlichkeit des Bewährungshelfers, möglichst nicht wertend sein, immer an das Gute im Menschen glauben, motivierendes Zutrauen und Negativ-Kritik nicht verstärken – zum Beispiel gegenüber Behörden, Ämtern oder dem Gericht. Es ist schwierig, wenn man mit Lügen konfrontiert ist. Wichtig ist, sich im Gespräch dezent vorzutasten, damit Klient:innen über ihr Delikt sprechen können. Sehr herausfordernd ist auch, wenn während der Betreuungszeit die Beziehung einer:s Klient:in zu wackeln beginnt oder eine Partnerschaft zu Ende geht, wenn Wut, Hass und Enttäuschung hochschwappen. Aber auch, wenn eine nahe Bezugsperson der:des Klient:in überraschend verstirbt.

Woran merkst du ganz konkret, dass deine ehrenamtliche Arbeit etwas bewirkt?
Wenn Haltungen und Einstellungen sich positiv verändern und reflektierteres Handeln möglich wird, wenn Grenzen geachtet werden und soziales Handeln sichtbar wird, wenn sich Hilfsbereitschaft zeigt und wenn loser Kontakt auch nach Beendigung der Betreuung gewünscht wird.

Wie findest du persönlich Ausgleich zu deinem Job und Ehrenamt? Was machst du in deiner Freizeit?
Früher Felsenklettern und Gletscherbergsteigen, Singen im Chor, Texte und viele Briefe schreiben, Stille suchen und spirituelle Räume, Hospiz- und Trauerbegleitungen, Austausch mit Gleichgesinnten aus der Gefängnisarbeit in Deutschland und der Schweiz.

Gibt es sonst noch etwas, das du mit unseren Leser:innen teilen möchtest?
Ich freue mich über jede:n, die:der mit Gefangenen, Haftentlassenen und Bewährungshilfe Klient:innen arbeitet. Mein Herz schlägt immer höher, wenn ich solche Menschen treffe. Wir haben etwas gemeinsam: Wir glauben an unsere Klient:innen! Und ich bin mir sicher: In ihnen allen steckt etwas Kostbares, etwas Einzigartiges.

 

Über die/den Autor:in

Laura Roth ist seit 2019 Teil des Kommunikations-Teams des Vereins NEUSTART. Ihre Schwerpunkte sind die interne Kommunikation und unsere Newsletter. In unserer Serie #TeamNEUSTART holt sie regelmäßig Kolleg:innen aus ganz Österreich vor den Vorhang

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