Maria S. ist gefasst und trotzdem nervös. In wenigen Minuten wird sie ein Gespräch mit ihrem Ex-Partner führen, der sie vor drei Monaten bei einem Streit erstmals geschlagen hat. Für sie war klar, dass damit eine Grenze mehr als überschritten war, dass sie diese Beziehung nicht mehr fortführen werde. Die Trennung erfolgte, aber etwas blieb für sie offen.
Sie wollte, dass er verstand, was der Schlag bei ihr verursacht hat, wie sie sich gefühlt und was sie seither beschäftigt hat. Sie wollte auch einen klaren Schlussstrich mit ihm ziehen. Als sie über das Angebot des Tatausgleichs informiert wurde, hatte sie daher gleich Interesse. Die Vorgespräche mit der Konfliktreglerin haben ihr zusätzliche Sicherheit gegeben, dass sie dies nutzen will. Sie ist dabei auch nicht alleine. Abgesehen von der Konfliktreglerin hat sie auch die Beraterin des Gewaltschutzzentrums als Prozessbegleiterin dabei, die sie seit dem damals verhängten Betretungs- und Annäherungsverbot betreut hat.
Verantwortung für Fehlverhalten übernehmen
Der Tatausgleich ist eine Mediation im strafrechtlichen Kontext, der im Rahmen der Diversion (hierbei kann das Gericht oder die Staatsanwaltschaft bei hinreichend geklärtem Sachverhalt auf die Durchführung eines förmlichen Strafverfahrens verzichten) angeboten werden kann – beispielsweise bei Körperverletzungen oder Drohungen – und in Österreich flächendeckend durch den Verein NEUSTART angeboten wird.
Das Ziel des Tatausgleiches ist einerseits, dass die Beschuldigten Verantwortung für das eigenen Fehlverhalten übernehmen und ihr Verhalten zukünftig ändern sowie andererseits Opfer die Auswirkungen und Folgen der Straftat auf sie selbst den Beschuldigten klar zum Ausdruck bringen können. Schadensersatzforderungen und Schadenswiedergutmachung sind weitere essenzielle Bestandteile. Bei einem positiven Abschluss wird das Strafverfahren eingestellt.
Seit der Einführung des Tatausgleiches in Österreich 1985 haben über 300.000 Opfer und Beschuldigte an diesem Mediationsverfahren teilgenommen, und in über 70 Prozent der Fälle konnte eine umfassende persönliche Aussprache und Schadenswiedergutmachung erzielt werden. Mit einer Rückfallsrate mit anschließender Verurteilung von elf Prozent innerhalb von drei Jahren nach einer positiven Erledigung hat er die niedrigste Rückfallsquote von allen möglichen Reaktionen der Justiz auf strafbares Verhalten. Wenn man den Bereich Gewalt in Beziehungen gesondert betrachtet, liegt die Rate sogar nur bei 8,7 Prozent. Im Vergleich dazu liegt die durchschnittliche Rückfallsrate drei Jahre nach einer Verurteilung bei rund 36 Prozent. Dies ist ein wichtiger Gradmesser in der Täter:innenarbeit, denn jedes (weitere) Opfer ist eines zu viel.
Freiwilligkeit des Opfers
Vor allem im Bereich der Gewalt in Paarbeziehungen tragen die Mediator:innen eine hohe Verantwortung und sind sich dieser bewusst. Zunächst einmal sind nicht alle Fälle auch für den Tatausgleich geeignet. Wenn es um chronisch oder systemisch ausgeübte Paargewalt geht, ist dieser nicht indiziert.
Des Weiteren ist die Freiwilligkeit der Teilnahme für das Opfer durchgängig gegeben und im § 204 Abs. 2 StPO festgehalten, womit dem Artikel 48 der Istanbul-Konvention entsprochen wird. Das Opfer trifft auch nicht gleich in einem Ausgleichsgespräch mit den Beschuldigten zusammen, sondern es werden im Vorfeld Einzelgespräche geführt. Nur wenn ein sicheres Setting im Ausgleichsgespräch anzunehmen ist und das Opfer auch zustimmt kommt es zu diesem, was in rund 50 Prozent der Fälle eintritt.
Aufgrund der besonderen Dynamik und Umständen bei Gewalt in Paarbeziehungen – sowie des Umstandes dass rund 90 Prozent der Täter in diesem Deliktbereich Männer sind – erfolgt der Tatausgleich in diesem Bereich mit zwei Mediator:innen, wobei weiblichen Opfern eine Mediatorin zur Seite gestellt wird. Auch während des laufenden Mediationsverfahren kann sich das Opfer jederzeit dazu entscheiden, aus dem Tatausgleich auszusteigen. Es wird ebenfalls bereits in der Einladung darauf hingewiesen, dass Prozessbegleitung (psychosozial und juristisch) in Anspruch genommen werden kann und direkt auf das regionale Gewaltschutzzentrum mit Kontaktdaten verwiesen. Ebenso ist eine Begleitung durch Anwält:innen oder Vertrauenspersonen möglich.
Opferempowerment
„Ich wollte, dass er mir in die Augen sieht und ausspricht, was er mir angetan hat. Genauso wollte ich, dass er zuhört, wenn ich meine Schmerzen und mein Leid schildere, welches es verursacht hat.“ Diese Sätze der Klientin Maria S. fassen die Anliegen und Erwartungen mehr als der Hälfte der Opfer, die einem Tatausgleich zustimmen, abseits von einer Schadenswiedergutmachung, gut zusammen.
Im Mediationsverfahren wird diesem Punkt viel Raum ermöglicht, mehr als in einer reinen Gerichtsverhandlung möglich wäre. Damit stärkt es auch die emotionale Resilienz der Betroffenen und unterstützt dabei, mit den psychischen Folgen von Gewalt umzugehen und sich hoffentlich davon wieder zu erholen.
Spannenderweise deckt sich dies auch mit vielen Rückmeldungen von Beschuldigten. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Anteilen und die Verantwortungsübernahme gegenüber dem Opfer wird oftmals als schwierig und belastend von ihnen empfunden. Dies ist kein Wunder, da man sich direkt mit den emotionalen Auswirkungen seines Handelns auseinandersetzen muss. Kein reines Verlesen aus einem Akt, keine eher distanzierte Schilderung alleinig zur Wahrheitsfindung oder Aussprache des Erlebten an andere Personen (zum Beispiel Richter:in).
Verantwortungsübernahme
Aber genau dadurch kann viel bei den Beschuldigten bewirkt werden. Bei Gewaltübergriffen liegt zumeist eine fehlende bis kaum vorhandene Opferempathie vor. Das Gegenüber und die Auswirkungen der Tat auf körperlicher und psychischer Ebene werden dadurch nicht wahrgenommen, beziehungsweise verdrängt. Durch die direkte Auseinandersetzung mit diesen im begleitendem Mediationssetting, kann ein guter Ansatzpunkt zur Motivation bezüglich einer Verhaltensänderung gefunden werden.
Eine Verantwortungsübernahme mit einer adäquaten Entschuldigung spielt hier auch eine wichtige Rolle. Die Einsicht und die Bewusstwerdung des begangenen Unrechts ist essentiell für die nachhaltige Motivation zur Verhaltensänderung, wobei die nächsten Schritte zur Unterstützung in diesem Setting besprochen werden können.
Dies alles soll nicht die Bedeutung einer adäquaten Schadenswiedergutmachung schmälern. Diese beiden Punkte sind jedenfalls Teil eines Tatausgleiches, in der Praxis kommt es hier oftmals zur Beiziehung von juristischer Vertretung.
Opferschutzorientiertes Arbeiten
Über die letzten Jahre hat sich vor allem die Zusammenarbeit mit Opferschutzeinrichtungen – auch in Form von Kooperationsvereinbarungen – stark weiterentwickelt. Dies ist auch ein Kernpunkt der opferschutzorientierten Täter:innenarbeit, wo Vernetzung eine hohe Bedeutung zukommt. Wenn alle beteiligten Professionalist:innen wissen, wer welche Aufgaben und Schwerpunkte hat und wie die Arbeit funktioniert sowie welche Haltungen dahinterstehen, kann bestmöglich opferschutzorientiert gearbeitet werden.
Durch die Kenntnisse von weiterführenden Einrichtungen, auch für die Beschuldigten, können Lösungsmöglichkeiten nachhaltig wirksam abgesichert werden. So kann durch das Anbinden an eine geeignete therapeutische Maßnahme oder eine psychosoziale Beratungseinrichtung, wie eine Männerberatung im freiwilligen Setting, weiter an der Veränderungsmotivation und den konkreten Handlungsschritten gearbeitet werden.
Wiedergutmachende Gerechtigkeit
Zusammenfassend stellt nach den Erfahrungswerten aus der Praxis und den Studien der Tatausgleich ein auch aus Opferperspektive empfehlenswertes Instrument dar – bei geeigneten Fällen und bei der Freiwilligen Teilnahme der Opfer. Auch die GREVIO-Kommission (Group of Experts on Action against Violance against Women and Domestic Violence), die die Umsetzung der Istanbul-Konvention prüft, sieht die Vorsichtsmaßnahmen vom Verein NEUSTART und das Bewusstsein der Mediator:innen für die Dynamiken und Auswirkungen von Paargewalt positiv. Das Feedback der Opfer selbst zeigt auch eine klare Tendenz: Die Zufriedenheit liegt nach Befragung bei rund 92 Prozent.
Dieses Mediationsverfahren arbeitet und wirkt mit dem Ziel der Restorative Justice, der wiedergutmachenden Gerechtigkeit. Es bringt die Beteiligten zu einer Wiedergutmachung materieller und immaterieller Schäden zusammen und kann zur Wiederherstellung von positiveren sozialen Beziehungen beitragen. Damit ist klar ausgesprochen nicht gemeint, dass Beziehungen fortgeführt werden müssen und sollen – auch eine akzeptierte Trennung durch den Partner ist eine Lösung. Eine Lösung, die im Fall von Maria S. auch erreicht werden konnte und ihr einen guten Abschluss des Geschehenen ermöglichte.
Dieser Artikel erschien am 7.10.2024 auf derstandard.at.