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Strafen macht Menschen nicht besser

Daniela Schwimbersky ist Seelsorgerin im Gefängnis. Was die Menschen in Haft beschäftigt, wie sie mit Schuld umgehen und was die größte Herausforderung ist.

Im Gefängnis fallen soziale Kontakte weg und man ist plötzlich fremdbestimmt. Was macht das denn mit einem Menschen?

Schwimbersky: Das lässt Menschen oft in eine Schockstarre hineinkippen, in eine völlige Verunsicherung. Das verursacht eine wirkliche Lebenskrise. Bis der erste Besuch da ist, dauert es auch ein paar Wochen.

Wann wird das Thema Schuld präsent?

Schwimbersky: Es kommt auf die Deliktgruppe und die jeweilige Person an. Aber in vielen Fällen erlebe ich eine massive Schuldeinsicht, also dass Leute von sich selbst und von dem, was sie angestellt haben, schockiert sind. Dass das Einsperren als völlig gerechtfertigt gesehen wird, überrascht mich manchmal.

Ist es für die Menschen ein Thema, dass sie gegenüber der Gesellschaft Schuld auf sich geladen haben?

Schwimbersky: Das wird erst einmal enger gedacht. Ganz häufig kommt die Schuldfrage in Bezug auf die Familie. Und: Was habe ich meinem Freundeskreis angetan?

Was kommt im Denkprozess nach der Einsicht? Gibt es auch Leute, die sich ungerecht behandelt fühlen?

Schwimbersky: Da gibt es viele. Die Menschen sind sehr sensibel, was das Thema Gerechtigkeit betrifft. Sie wollen sich ein Bild machen, was fair ist, was gerecht ist, was der eine gekriegt hat und was der andere. Da wird viel verglichen. Dadurch kommen kritische Aspekte und Unzufriedenheit herein. Wenn man sich ungerecht behandelt fühlt, ist das der Deliktaufarbeitung oftmals nicht förderlich.

Die Menschen müssen sich auch selbst vergeben, da können Sie immerhin Gott anbieten.

Schwimbersky: Die Gnade Gottes zu akzeptieren, ist schon eine gewisse Herausforderung, sage ich mal. Aber die Vergebung, die man sich selbst zugesteht, ist meist die noch viel größere Herausforderung.

Sie sprechen auch mit Haftentlassenen. Kommen die Menschen anders aus dem Gefängnis heraus, als sie hineingegangen sind?

Schwimbersky: Natürlich. Die einen sagen: Ich mache das Verbotene nicht mehr, weil Gefängnis ist ein No-Go, da will ich nie wieder hin. Und sie schaffen es in ihrem Netzwerk tatsächlich, sich zu resozialisieren. Dann gibt es die, die sagen, dann muss ich halt besser aufpassen, dass sie mich nicht mehr erwischen. Dass Strafen, wie wir sie zum Teil in Österreich haben, oft nur mehr von dem hervorbringen, was wir nicht wollen, ist leider Realität.

Ist das Strafen unumgänglich?

Schwimbersky: In vielen Bereichen des Lebens haben wir schon kapiert, dass das Strafen alleine die Menschen nicht besser macht. Im Strafvollzug fehlt es aber oft an Ressourcen und Möglichkeiten, Inhaftierte bei der Resozialisierung so zu unterstützen, dass sie es schaffen, nicht mehr rückfällig zu werden.

Zur Person

Daniela Schwimbersky ist evangelische Pfarrerin, Pädagogin und die einzige evangelische Vollzeit-Seelsorgerin in allen fünf Wiener Gefängnissen.

Über die/den Autor:in
Stefan Müller

Unser Gastautor Stefan Müller ist Historiker, Journalist und Autor. Er hat unter anderem für „Die Zeit“ und „Die Presse“ geschrieben und mehrere Sachbücher sowie wissenschaftliche Publikationen verfasst.

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