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Strafe ist nicht gleich Strafe: Geld versus Freiheit

Wer wegen eines Vermögensdelikts auf der Anklagebank landet, wird in Wien mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, in Innsbruck hingegen zu einer Geldstrafe. Beides ist korrekt. Aber wie kommt es eigentlich zu diesem Kontrast zwischen West und Ost in der Strafpraxis?

Was dahinter steckt, ist einerseits eine unterschiedliche Auslegung des § 37 StGB, der Verhängung von Geldstrafen anstelle von Freiheitsstrafen. Andererseits ist es aber auch eine Frage der Über­zeugung von der Wirkung der jeweiligen Strafform. Der REPORT hat bei der Tiroler Richterin Martina Eberherr und beim Leitenden Staatsanwalt in Leoben, Thomas Mühlbacher, nachgefragt, wie es zu diesem Unterschied in der Strafpraxis kommt. 

Davor allerdings noch ein paar Zahlen zur Veranschaulichung: In Tirol und Vorarlberg ist die Geldstrafe die Regelstrafe. Ihr Anteil war 2021 im Oberlandesgerichtssprengel Innsbruck viermal so hoch wie im OLG Wien. Im Gegenzug wurde die Freiheitsstrafe in den OLG-Sprengeln Linz und Graz mehr als doppelt, im OLG-Sprengel Wien mehr als dreimal so häufig ausgesprochen wie im OLG-Sprengel Innsbruck. Besonders bei den zur Gänze bedingten Freiheitsstrafen ist dieser Unterschied auffallend: Während diese im OLG Innsbruck in nur 5,2 % der Fälle verhängt wurde, waren es in Wien 44,2 %. Bei den unbedingt verhängten Freiheitsstrafen waren die regionalen Unterschiede hingegen weitaus geringer. Ähnliche Unterschiede zeigen sich bei den Anordnungen zur Bewährungshilfe bei Verurteilung: Während zwischen 2018 und 2022 im OLG Innsbruck bei 4,7 % der Strafen Bewährungshilfe angeordnet wurde, waren es in den anderen drei OLG durchschnittlich 10,1 %. 

Damit beträgt die Bewährungshilfe-Anordnungsquote bei Urteil in Innsbruck weniger als die Hälfte der Quote im übrigen Österreich.  „Immer ist zu prüfen, ob durch Anordnung von Bewährungshilfe und Erteilung von Weisungen etwas getan werden kann, um die Gefahr eines Rückfalls zu verringern“, sagt die Tiroler Richterin Martina Eberherr. „Häufig steht hinter strafbarem Verhalten ein Problem, das nur mit Unterstützung bewältigt werden kann. Es ist spezialpräventiv klug, diese Unterstützung dann zu gewähren, wenn neuerliche Straftaten vermieden werden sollen.“

Unterschiede in der Diversion

Unterschiede zeigen sich ebenfalls in der Diversion, allerdings nicht ganz so eklatant wie bei den verhängten Strafen und den Anordnungen zur Bewährungshilfe. Die Aufteilung in eine „Ost“- und eine „Westpraxis“ lässt sich hier nicht erkennen. Im Zeitraum 2013 bis 2022 hatte das OLG Linz kontinuierlich die meisten Tatausgleichszuweisungen in Relation zu Verurteilungen. Mit einigem Abstand folgt darauf das OLG Innsbruck. Die OLG Wien und Graz liegen im selben Zeitraum etwa gleichauf und weisen am wenigsten häufig einen Tatausgleich zu. Ist der Tatausgleich für manche Gerichte und Staatsanwaltschaften nicht „attraktiv“ genug? Nein, sagt Martina Eberherr. „Attraktiver geht nicht. Möglicherweise wären Fort- und Ausbildung der Rechtsprechungsorgane zu verbessern.“ Thomas Mühlbacher, Leiter der Staatsanwaltschaft Leoben, erklärt sich diese Unterschiede durch regionale Vorlieben und sagt: „Für die Wahl des im Einzelfall bestgeeigneten Diversionsinstruments sollte die Clearingfunktion von NEUSTART verstärkt genutzt werden.“

Interview

Die Strafpraxis unterscheidet sich in den verschiedenen Sprengeln im Bereich der bedingten Freiheitsstrafe stark. Wie kommt es zu dieser unterschiedlichen Praxis?

Martina Eberherr (Richterin Landesgericht Innsbruck): Für die unterschiedliche Strafpraxis in Österreich ist mir als Erklärungsansatz bekannt, dass die österreichische Richter:innenausbildung nicht sprengelübergreifend stattfindet – auch die Ausrichtung der Lehre an den Hochschulen wird eine Rolle spielen. Nach der Ernennung eines jungen Richters oder einer jungen Richterin wird sich diese:r an erfahrenen Kolleg:innen im Haus orientieren, d. h. die unterschiedliche Strafpraxis ist meines Erachtens „tradiert“.

Thomas Mühlbacher (Leitender Staatsanwalt Leoben): Junge Richter:innen und Staatsanwält:innen lernen die Strafbemessung nicht aus Lehrbüchern, sondern von älteren Kolleg:innen. Regionale Gewohnheiten verfestigen sich daher leicht. Eine Strafbemessung durch den Obersten Gerichtshof kommt nur sehr selten vor, sodass sich keine bundeseinheitliche Judikatur entwickelt.

 

Was sind die Überlegungen bei der Strafzumessung?

Eberherr: Bei der Strafzumessung ist zunächst auf den Schuld- und Unrechtsgehalt der Tat abzustellen (§ 32 StGB) und zu fragen, wie gravierend die Folgen für den Geschädigten sind (Erfolgsunwert). Ausgehend vom sozialen Störwert der Tat, dem der Gesetzgeber über den Strafrahmen Ausdruck verleiht, sind in einem weiteren Schritt die besonderen Strafzumessungsgründe zu erfassen und zu gewichten (§§ 33 und 34 StGB).

Mühlbacher: Ich glaube, dass der Strafzumessung durch Einführung eines Schuldinterlokuts mehr Bedeutung zugemessen werden sollte. Das Gericht entscheidet zunächst über die Schuldfrage. Im Falle eines Schuldspruchs werden dann die im konkreten Fall vorliegenden Strafzumessungstatsachen in einem eigenen Abschnitt der Hauptverhandlung umfassend erörtert.

 

Geld- versus Freiheitsstrafe: Wann ist welche Form der Strafe aus Ihrer Sicht vorzuziehen?

Eberherr: Ich würde dann eine Geldstrafe verhängen, wenn die Geldstrafe als Sanktion genügt, um Rechtsbrecher:innen das Unrecht einer Tat vor Augen zu führen. Wenn die Freiheitsstrafe nicht erforderlich ist, ist sie auch nicht zu verhängen. Eine bedingte Freiheitsstrafe ist immer strenger als eine (auch teilbedingte) Geldstrafe.

Mühlbacher: Freiheitsstrafen sollten, auch wenn sie „nur“ angedroht werden, die „Ultima Ratio“ der Unrechtsfolgen sein. Bedingten Verurteilungen folgt keine sofortige Sanktion, sie bieten aber die Möglichkeit der Anordnung von Bewährungshilfe und Erteilung von Weisungen und werden daher der sofort spürbaren, aber oft nicht treffsicheren Geldstrafe, vorgezogen.

Über die/den Autor:in
Maria Renner

Maria Renner ist seit 2022 Teil des Kommunikations-Teams des Vereins und ist Ansprechpartnerin für sämtliche NEUSTART Publikationen, unter anderem unseren Jahresbericht „Report“.

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