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Sind Jugendliche heute tatsächlich reifer als früher?

In der Diskussion rund um Jugendkriminalität, kommt immer wieder das Argument, dass Jugendliche heutzutage früher reif sind als vor 20 oder 30 Jahren… Das bleibt meistens unwidersprochen. Sollte es aber nicht.

Gehirnentwicklung bei Jugendlichen

Reife ist ein hirnphysiologischer und entwicklungspsychologischer Prozess. Aufgrund gesellschaftlicher und digitaler Entwicklungen, sind Kinder und Jugendliche heutzutage viel früher mit Sexualität, Gewalt, Suchtmitteln, gesellschaftlichen Konflikten und widersprüchlichen „Sozialisations-Botschaften“ konfrontiert. Das heißt nicht unbedingt, dass sie reifer sind. Es wird bloß früher mehr Reife in Umgang mit schwierigen Themen erwartet.

Dr.in Katrin Skala, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, illustriert die unterschiedlichen Reifeprozesse des menschlichen Gehirns sehr plastisch in ihrem Vortrag zum „Substanzkonsum bei Jugendlichen“ (Folie 6-11) (KJP Kongress Innsbruck 2024). Das jugendliche Gehirn ist noch nicht im selben Ausmaß entwickelt wie bei Erwachsenen. Das Verhalten und Risikoeinschätzungen bei Jugendlichen fallen daher völlig anders aus.

Zeitgerechter Schutz von Jugendlichen

Folglich müsste man daher genau umgekehrt argumentieren: Gerade weil wir Kinder und Jugendliche heute ganz anders (über)fordern, ist es notwendig, sie speziell zu schützen. Wir müssen sie aktiv dabei unterstützen, einen reifen Umgang mit den vielfältigen Herausforderungen ihrer Generation zu finden. Es braucht mehr Sozialarbeit und Sozialpädagog:innen an Schulen, um mit Kindern an Themen wie Konfliktbewältigung, gewaltfreier Kommunikation, Umgang mit sozialen Medien und der, auch schon für junge Kinder auf ihren Smartphones allgegenwärtigen, Pornografie zu erarbeiten. Die gesellschaftlichen Entwicklungen sind viel schneller, als sich das Gehirn Kinder und Jugendlicher entwickeln kann.

Auch das oft genannte Argument, dass Unmündige genau wüssten, dass sie nicht der Strafverfolgung unterliegen und deswegen schwere Gewaltverbrechen ausüben, spricht gerade nicht für ihre Reife. Eine reife Person unterlässt ja so eine Tat unabhängig von einer Strafdrohung. Sie ist sich der Konsequenzen und des Leides bewusst.

Da wir aktuell vermehrt mit der Thematik konfrontiert sind, muss der Aspekt der Reife in die Diskussion mit eingebracht werden. Es wird bestimmt nicht zielführend sein, lediglich mehr Reife vorauszusetzen und Kinder und Jugendliche früher der Strafverfolgung auszusetzen.

Über die/den Autor:in

Leitung NEUSTART Tirol

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