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Opfer-Täter-Dialog in allen Phasen des Strafverfahrens: Modellversuch ab 2025

Ab 2025 wird an ausgewählten Modellstandorten eine neue Form des Tatausgleichs erprobt. Zwei Jahre lang soll es nicht mehr nur im diversionellen Bereich, sondern in allen gerichtsanhängigen Fällen, bei denen es zu einer direkten Schädigung eines Opfers durch eine:n Täter:in gekommen sein kann, die Möglichkeit eines Opfer-Täter-Dialogs geben.

Vor rund 40 Jahren wurde der Tatausgleich erstmals in Strafverfahren mit jugendlichen Beschuldigten erprobt. Österreich nahm damit eine, in der Folge viel beachtete, Vorreiterrolle ein. Drei Jahre später fand dieser neue Ansatz der staatlichen Reaktion auf strafbares Verhalten Eingang in das Jugendgerichtsgesetz 1988. Ab dem Jahr 1992 folgten Modellversuche, in denen der Tatausgleich auch bei erwachsenen Beschuldigten eingesetzt wurde. Mit der Strafprozessnovelle 1999 („Diversionsgesetz“) wurde der Tatausgleich gesetzlich verankert und ist seit dem 1. Jänner 2000 von allen Staatsanwaltschaften und Gerichten anzuwenden.

Österreich war im Bereich der Restorative Justice – konkret in der direkten, professionell angeleiteten Bereinigung einer Straftat und deren Folgen unter Einbindung des Opfers – internationales Vorbild. Im diversionellen Bereich bietet ein erfolgreicher Tatausgleich die Möglichkeit, das Strafverfahren ohne Urteil endgültig zu beenden. Heute sind Modelle der Restorative Justice in viele modernen Rechtsprechungen integriert. In zunehmend mehr Ländern besteht mittlerweile nicht nur im Diversionsbereich, sondern in allen Phasen des Strafverfahrens und auch bei schweren Straftaten die Möglichkeit des begleiteten Dialogs zwischen Opfern und Tätern. Die Erfahrungen sind positiv. Internationale Organisationen (UNO, Europarat, Konferenz der europäischen Justizminister:innen) sprechen eine klare Empfehlung für eine breite Anwendung der Restorative Justice in allen Phasen des Strafverfahrens aus. So erhalten Opfer die Möglichkeit, die persönlichen Auswirkungen der Straftat und ihre Bedürfnisse zu artikulieren. Täter:innen können erkennen und einsehen, was sie „angerichtet“ haben. Daraus können sich dann Möglichkeiten der Bereinigung persönlicher Aspekte einer Straftat ergeben, die insbesondere die Interessen des Opfers berücksichtigen. Eine belgische Kollegin berichtet: Je schwerer die Folgen einer Straftat, desto größer der Bedarf der Beteiligten nach individuellen Klärungen.

Auf eine Initiative von Justiz, Wissenschaft und NEUSTART hin wird ab 2025 auch in Österreich diese Form des Opfer-Täter-Dialogs an ausgewählten Modellstandorten erprobt. Zwei Jahre lang soll es nicht mehr nur im diversionellen Bereich, sondern in allen gerichtsanhängigen Fällen, bei denen es zu einer direkten Schädigung eines Opfers durch eine:n Täter:in gekommen sein kann, die Möglichkeit eines Opfer-Täter-Dialogs geben. Dieses Angebot ist für Täter:innen und Opfer freiwillig.

Es ist nicht die Aufgabe von Strafgerichten, Konfliktsituationen zu lösen. Im Opfer-Täter-Dialog werden der Hintergrund der Straftat bearbeitet und nachhaltige Problemlösungen gesucht. Zusätzlich zum gerichtlichen Strafverfahren können die Beteiligten – bei beidseitigem Einverständnis und unter Vermittlung erfahrener Konfliktregler:innen – aufeinander zugehen in Richtung Klärung, Bereinigung und Wiedergutmachung.

Welchen Mehrwert erwarten wir von dieser Möglichkeit des Opfer-Täter-Dialogs?

  • Die Erfahrungen mit dem Tatausgleich im Bereich der Diversion sind sehr positiv: Beschuldigte werden nach einem Tatausgleich deutlich weniger rückfällig, Opfer sind zufriedener. Gerade bei schwereren Delikten besteht oft das Bedürfnis, sich über die Tat, deren Folgen und die Wiedergutmachung auszutauschen.
  • Die Bedürfnisse der Opfer werden wahr- und erstgenommen. Die persönliche Aufarbeitung der konkreten Straftat und Klärung offener Fragen hilft Opfern, das erlittene Leid besser zu verarbeiten.
  • Die Einsicht der Täter:innen – sowohl in der eigenen Verantwortungsübernahme als auch in der Empathie – wird durch die Konfrontation mit dem Opfer gefördert. Diese Auseinandersetzung mit der Opfersituation hält sie nachweislich von weiteren Straftaten ab. Sie werden nur in geringem Ausmaß rückfällig.
  • Täter:innen müssen sich mit ihrem Fehlverhalten auseinandersetzen. Sie können Verantwortung für ihre Tat übernehmen und aktiv zur Bereinigung mit dem Opfer beitragen.
  • Die Gerichtsverhandlung wird um ungeklärte persönliche Konflikte entlastet, die nicht unmittelbar mit dem Gegenstand der Verhandlung zu tun haben.

Das Modell des Opfer-Täter-Dialogs macht, parallel zur Strafjustiz, Opfern und Täter:innen ein Angebot der persönlichen und individuellen Klärung der Tatfolgen, was der klassische Strafprozess nicht bieten kann. Täter:innen setzen sich mit dem Opfer und ihrer Tat auseinander, Opfer erhalten Klärung und wichtige Antworten auf offene Fragen. Der Opfer-Täter-Dialog schafft Einsicht bei Täter:innen, was Voraussetzung für eine faire Schadensgutmachung und eine ehrlich gemeinten Entschuldigung ist. Aus Erfahrung wissen wir, dass dies für Opfer große Bedeutung hat.

Wir hoffen, dass es im Modellversuch gelingt, das Angebot der Justiz ein weiteres Stück näher an die Bedürfnisse der betroffenen Menschen heranzuführen.

Über die/den Autor:in

Leitung NEUSTART Zentralbereich Sozialarbeit

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