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Netzwerk Kriminalpolitik: Forderungen an die nächste Regierung

Das Netzwerk Kriminalpolitik, bestehend aus Vertreter:innen aus Justiz, Rechtsanwaltschaft, Sozialarbeit, Opfervertretung und Wissenschaft, hat bei einem Mediengespräch seine Forderungen an die künftige Bundesregierungen formuliert.

Um den Mehraufwand durch neue Gesetze leisten zu können, bedürfe es zumindest 100 neuer Planstellen, forderte beispielsweise Gernot Kanduth, Präsident der Richter:innenvereinigung. „Der vom ehemaligen Justizminister Clemens Jabloner prognostizierte langsame Tod der Justiz ist zwar nicht eingetreten, aber voll gesund sind wir noch lange nicht.“ Eine Personalrechnung ergab einen Mehrbedarf von 109 Richterstellen, mittlerweile liege dieser wohl sogar bei 150 bis 200. Die Schuld dafür, dass diese nun schon länger bestehende Forderung nicht umgesetzt wurde, sieht Kanduth nicht nur im Justizministerium: „Das ist natürlich eine Frage des Budgets.“

Um das Vertrauen in die Justiz zu stärken, brauche es außerdem eine objektive Medienstelle, die etwa in clamorosen Fällen wie dem Prozess gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) proaktiv agiere und einen Kontrapunkt zu etwaigen einseitigen Darstellungen im Auftrag von einzelnen Verfahrensbeteiligten oder Litigation-PR darstelle. „In Wahrheit muss man aber schon in den Schulen beginnen, mit einem Unterrichtsfach für rechtsstaatliche oder demokratische Bildung in allen Schulen“, forderte Kanduth.

Keine Notwendigkeit für Verschärfungen sah Christoph Koss, Geschäftsführer von NEUSTART, im Bereich des Jugendstrafrechts. Eine Herabsetzung der Strafmündigkeit sei „klar abzulehnen“. Entfallen sollten hingegen die (wieder) eingeführten Strafrahmenuntergrenzen für junge Erwachsene bei einer Vielzahl von Tatbeständen. Die Haft für Jugendliche und junge Erwachsene müsse sozialpädagogisch gestaltet werden und habe mit umfassender Beschäftigung und Behandlung einherzugehen, wofür es die nötigen Ressourcen brauche. Auch plädierte er für einen Katalog an bundesweiten Maßnahmen. „Das Bild einer immer gewalttätigeren Jugend ist nicht fair“, verwehrte sich Koss gegen diesbezügliche, auch mediale Darstellungen. 1976 beispielsweise seien die Straftaten Jugendlicher gegen Leib und Leben fünf Mal so hoch gewesen wie heute, und das bei einer deutlich niedrigeren Aufklärungsquote.

„Der Zugang zum Recht funktioniert, er ist aber ausbaufähig“, lautete das Fazit von Philip Wolm, Präsident der Vereinigung österreichischer Strafverteidiger:innen. So hänge dieser mehr denn je von sozialen und finanziellen Faktoren ab. Daher bräuchte es einen kostenlosen Rechtsbeistand nicht erst ab der Hauptverhandlung, wie dies derzeit der Regelfall ist, sondern bereits bei der ersten Vernehmung im Ermittlungsverfahren, jedenfalls aber bei Verdacht eines Delikts in landesgerichtlicher Zuständigkeit. Weiters forderte er die Möglichkeit der Mitnahme einer Vertrauensperson zu Beschuldigtenvernehmungen, die Gewährleistung der erforderlichen Übersetzungshilfe und die verstärkte Veröffentlichung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte. Ein „Gamechanger“ sei die elektronische Akteneinsicht, die Klient:innen viele Kosten erspare.

Nur wenig Zugang zum Recht gebe es hingegen im Strafvollzug, so Wolm. In Bezug auf die Haftbedingungen in österreichischen Justizanstalten hielt Veronika Hofinger vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie der Uni Innsbruck fest: „Es ist nicht in allen Justizanstalten gleich schlecht, aber etwa in der Josefstadt ist es unerträglich.“ Sie fordert mehr Ressourcen, auch im Sinne der späteren Resozialisierung von Inhaftierten. „Der Strafvollzug ist aber leider kein attraktives Thema für einen Wahlkampf“, so Hofinger.

Nicht umgesetzt seien weiterhin wesentliche Vorschläge einer 2014 eingesetzten Arbeitsgruppe zur Verbesserung des Maßnahmenvollzugs. Offen bleiben etwa jene Punkte, die die Behandlung regeln oder die Verbesserung der Entlassungsvorbereitung. „Der Maßnahmenvollzug kann nicht alle Probleme lösen, die die überfüllten Psychiatrien schaffen“, so Hofinger. Mit der Neuregelung der Unterbringung in „forensisch-therapeutischen“ Zentren wurde die Eingangsschwelle angehoben, wodurch im Herbst 2023 einige Inhaftierte entlassen werden sollten. Einige hätten bereits den Entlassungsbescheid in den Händen gehalten, als ein neues Gesetz Einzelfallprüfungen verordnete, kritisierte der Kriminologe Wolfgang Gratz und erachtete das Vorgehen als „demokratiepolitisch bedenklich“. Man müsse „Anlassgesetzgebung vermeiden“, ausreichend Begutachtungszeit einräumen und „immer prüfen, ob es nicht andere als strafrechtliche Maßnahmen gibt“, forderte Gratz.

Die vollständige Punktation des Netzwerks Kriminalpolitik zur Nationalratswahl 2024 steht hier zum Download zur Verfügung.

Über die/den Autor:in

Maria Renner ist seit 2022 Teil des Kommunikations-Teams des Vereins und ist Ansprechpartnerin für sämtliche NEUSTART Publikationen, unter anderem unseren Jahresbericht „Report“.

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