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Literaturtipps

Wie man einen Drachen reitet

Wenn ein Elternteil inhaftiert wird, reagiert jedes Kind anders auf die drastische Änderung seiner Lebensumstände. „Reite den Drachen“ dient einerseits zum Lesen oder Vorlesen für Kinder, andererseits als kleines Handbuch mit psychologischen wie auch praktischen Hinweisen für Eltern, Pädagog:innen und Sozialarbeiter:innen.

 

„Wenn es hell war, wenn Jan in die Schule ging, wenn er Fußball spielte, schlief der Drache. Ganz eng zusammengerollt lag er dann in Jans Bauch. Manchmal, wenn er mit der Oma in den Tiergarten ging, vergaß Jan für kurze Zeit, dass der Drache da war. Aber schon beim Ausgang vom Tiergarten rührte sich der Drache wieder, rutschte von einer Seite im Bauch zur anderen, machte sich groß, drückte nach oben, so als wollte er sagen: ‚Jan, Du darfst nie vergessen, dass ich da bin!‘ Wirklich munter aber wurde der Drache am Abend im dunklen Zimmer, wenn Jan im Bett lag.“

Dieser Auszug aus dem Buch „Reite den Drachen!“ des Autoren-Duos Christine Hubka, evangelische Pfarrerin i.R., und Matthias Geist, evangelischer Gefängnisseelsorger in den vier Justizanstalten Wiens, bietet einen berührenden Einblick in die Seele des kleinen Jan, der nur zufällig erfahren hat, dass sein Vater im Gefängnis ist. Seine Reise aus der anfänglichen seelischen Isolation zurück in die Arme seiner Mutter führt über eine wundersame Begegnung mit einem Mädchen, das ihn lehrt, seinen Drachen zu reiten und ihn zu einem sensiblen Begleiter werden zu lassen. Einem Begleiter, der ihm hilft, seine Emotionen zuzulassen und sogar den Mut zu finden, seinem Vater einen Brief zu schreiben. Eine kleine Geschichte, die helfen kann, Kindern Unterstützung und Orientierung in ihrer Betroffenheit zuteilwerden zu lassen. Erschienen im Apfel Verlag.

„Ich denke, es ist besser geworden.“

Michael Köhlmeier bietet in seinem neuesten Werk „Frankie“ dem gleichnamigen Protagonisten eine sprachgewaltige Bühne. Im Scheinwerferlicht steht ein 14-jähriger Bursche, dessen Leben von seinem aus der Haft entlassenen Großvater gehörig auf den Kopf gestellt wird.

Frankie führt ein beschauliches Leben mit seiner Mutter, bis ihm sein Großvater gegenübersteht und ihn in seinen Bann zieht. Seinen Weg zwischen Angst und der Faszination des Bösen begleitet Michael Köhlmeier als Beobachter:

„Ich schreibe nur auf, was Frankie tut, was er erleidet, was er denkt. Ich mische mich nicht ein.“

Was für den Autor ebenfalls wichtig ist: Er geht ohne ein Anliegen an die Geschichte heran.

„Ein guter Mensch sein zu wollen und andere zu guten Menschen bekehren zu wollen, das gehört nicht zur Ausstattung eines Schriftstellers“

so Köhlmeier im Interview. Wie denkt der Autor zum Thema „Gewalt in der Gesellschaft“? 

„Es wird mehr über Gewalt gesprochen als früher, dadurch entsteht der Eindruck, es herrscht mehr davon. Als ich ein Kind war, durften Männer ihre Frauen und ihre Kinder hauen, es ist ihnen nichts passiert, solange sie am Leben blieben. Ich war in einem Heim, dort gab es viel Gewalt. Heute würde man dieses Heim schließen und die Verantwortlichen anzeigen. Damals hieß es, dem Buben geschieht recht. Ich denke, es ist besser geworden.“

Mit „Frankie“, erschienen im Verlag Hanser, liefert Köhlmeier eine Lektüre, die zum Nachdenken anregt.

Über die/den Autor:in
Thomas Marecek

Thomas Marecek leitet die Kommunikation bei NEUSTART

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