Auswege aus der Sucht
Bei der Auseinandersetzung mit Jugendlichen und Kriminalität stößt man unweigerlich auch auf das Thema Sucht. Viele straffällige Teenager haben Erfahrung mit Suchtmitteln. Bei NEUSTART Kärnten gibt es drei Angebote zur Suchtprävention: „Way out“ richtet sich an junge Menschen, die möglicherweise am Beginn einer Suchtkarriere stehen. Das Programm bewirkt, dass Jugendliche nicht in eine kriminelle Karriere abgleiten. „Das wichtigste ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen Konsumverhalten: Was konsumiere ich wann und warum?“, sagt Christina Welisch, Abteilungsleiterin bei NEUSTART Klagenfurt.
Alternativen aufzeigen
Sie erarbeitet mit den Jugendlichen Handlungsalternativen. Welisch verweist dabei auf das „Klaviermodell“ nach Gerald Koller. Die einzelnen Tasten des Klaviers stehen symbolisch für die Möglichkeiten zur Bewältigung von herausfordernden Situationen. „Je vielfältiger die Tastatur an Dingen ist, die mir guttun, die mir Ausgleich verschaffen, desto mehr Möglichkeiten habe ich, Herausforderungen zu meistern und desto weniger suchtgefährdet bin ich“, so Welisch. Stehen nur wenige Tasten zur Verfügung, wird die Melodie eintönig.
Grenzen erkennen
2022 verzeichnete „Way out“ 113 Neuzugänge. Mehr als 2.100 Sozialarbeitsstunden wurden für „Way out“ geleistet. Ein weiteres Programm der Suchtprävention ist „Grenzwert“, ein Angebot an Jugendliche, deren Alkoholkonsum bedenklich ist. „Im Gegensatz zu ‚Way out‘ ist die Teilnahme an den sechs Beratungseinheiten von ‚Grenzwert‘ freiwillig. Für ‚Way out‘ kommen die Zuweisungen für die Jugendlichen entweder durch die Schule oder durch Amtsärzt:innen“, erklärt Welisch.
Harm Reduction
Wo Prävention zu spät kommt, setzt das Programm „Use it“ an: „Wir haben es teilweise mit schweren Suchterkrankungen zu tun. Da geht es nicht unbedingt gleich um Abstinenz, sondern um Gesundheitsprävention und existenzielle Absicherung: ,Harm reduction‘ durch Spritzentausch und Arztbesuche. Finanzielle Notlagen, weil der Bürokratiekram nicht mehr allein erledigt werden kann, sind auch ein großes Thema“, sagt Rene Murnig, der mehrere Suchtkranke in Kärnten betreut. Ratschläge wie „Du musst einfach aufhören!“ sind genauso unbrauchbar wie Rufe nach mehr Druck, sind sich Welisch und Murnig einig. „Sucht ist eine Erkrankung, die sich nicht durch Disziplin behandeln lässt.“
Immer mehr, immer jünger
„Wir müssen damit leben, dass der Konsum von Suchtmitteln unter Jugendlichen immer mehr wird“, sagt Welisch. „Das ist auch kein Wunder, man kommt so leicht wie noch nie an illegale Substanzen – und das auch noch völlig anonym.“ Auffällig ist, dass es immer häufiger Zuweisungen von Schulärzt:innen aus den Pflichtschulen für 10- bis 14-jährige gibt. Waren es früher noch ausschließlich Berufs- und höher bildende Schulen, die ihre Schüler:innen an die Suchtprävention zuwiesen, sind es heute immer mehr Neue Mittelschulen.
Traumata und Wohlstand
„Das größte Problem unserer Jugendlichen sind ihre Vorbelastungen. Je schwerer die wiegen, desto größer ist die Suchtgefahr“, sagt Welisch. Gewalt, sexueller Missbrauch, Suchterkrankungen in der Herkunftsfamilie oder Fremdunterbringung sind nur einige davon. Auf der anderen Seite komme es aber auch immer wieder zu so genannten „Wohlstandsverwahrlosungen“: Die finanzielle Absicherung ist gegeben, dafür fehlt es an emotionalem Rückhalt. Gleichzeitig wachsen die gesellschaftlichen Anforderungen. Viele junge Menschen kommen mit dem Druck von allen Seiten nicht mehr zurecht. „Lerndrogen“ wie Ritalin, die die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit steigern, boomen derzeit.
Auch Corona habe laut Welisch viel verändert: „Die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist total überlastet. Es gibt einen hohen Bedarf an Psychotherapie auf Kasse.“ Was es ebenso brauche sind suchtmittelspezifische Fortbildungen für Fachärzt:innen – insbesondere für Substitutionen –, Sozialarbeiter:innen oder auch Mitarbeiter:innen vom Arbeitsmarktservice oder Sozialhilfediensten. „Das Arbeiten mit suchtkranken Menschen ist eine besondere Herausforderung. Es geht oft um schwere Traumatisierungen. Es sind Menschen, die massiv Unterstützung brauchen, aber oft nur wenig Unterstützung annehmen können“, sagt Welisch.
Einstiegsdroge Cannabis?
Mit einem Gerücht will Rene Murnig aufräumen: „Wenn es so etwas wie eine ,Einstiegsdroge´ gibt, dann ist das nicht Cannabis, sondern Alkohol und Nikotin. Es gibt auch keine Cannabis-Toten im Vergleich zu Heroin oder Kokain. Aber wenn Jugendliche schon in der Früh anfangen zu rauchen und alles unter einer gewissen Beeinträchtigung machen, dann ist das ein massives Problem.“ Das bestätigt auch seine Kollegin: „Bei uns lernen sie, die Dinge wieder bewusst zu erleben. Ganz ohne dem Einfluss von Substanzen.“