Bei Gewalt in Paarbeziehungen haben wir oft sehr klare Bilder im Kopf. Auch davon, wer da zu uns in den Tatausgleich von der Staatsanwaltschaft zugewiesen wird. Aber was, wenn wir es nicht mit dem häufigsten Fall des gewalttätigen Mannes und der geschädigten Frau zu tun haben, sondern zum Beispiel mit zwei Männern in einer Paarbeziehung?
Eine der für uns Konfliktregler:innen von NEUSTART gängigsten Methoden zur Fallbearbeitung im Tatausgleich ist das „Gemischte Doppel“, bei dem eine Sozialarbeiterin und ein Sozialarbeiter mit Täter:in und Opfer zu einem gemeinsamen Gespräch am runden Tisch kommen. Damit impliziert das Gemischte Doppel bereits Gegengeschlechtlichkeit. Es ist positiv zu sehen, dass sich beim Verein NEUSTART im Laufe der letzten Jahre einiges getan hat, hin zu einem offenen, der Vielfalt sexueller Orientierungen und Geschlechtsidentitäten Rechnung tragenden Bild von Konfliktregelung – auch im Bereich von häuslicher Gewalt. Die Haltung zwischen „Grundsätzlich ist es bei queeren Paaren egal, welches Geschlecht die Konfliktregler:innen haben“ und stereotypisierender Zuschreibung von traditionell weiblichen und männlichen Rollen, die immer wieder auch in diesem Feld spürbar war, sollte der Vergangenheit angehören.
Tiefer in jene Fälle einzutauchen, die ich bearbeitet habe, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Wichtig erscheint mir aber aufzuzeigen, dass es auch abseits traditioneller Mann-Frau-Beziehungen sehr viele verschiedene Beziehungskonstellationen gibt, die auch nicht vor Konflikten, Trennungen und gewaltvollen Eskalationen gefeit sind und es einer Konfliktregelung durch NEUSTART bedarf.
Ohne den Fehler einer „Klientisierung“ von sexueller Vielfalt zu begehen, bedarf es eines genaueren Hinschauens auf Unterschiedlichkeiten und Gemeinsamkeiten. Gleichen Beziehungsdynamiken und Themen bei gleichgeschlechtlichen Paaren zwar in vielen Punkten denjenigen in komplimentärgeschlechtlichen, so gibt es auch Unterschiede in der Dynamik und besondere Herausforderungen, wie zum Beispiel ein Fehlen überbrachter Rollenbilder zur Orientierung oder auch Abgrenzung. Eine Herausforderung in der Bearbeitung kann auch eine „risikoscheue Kommunikation“ sein, die in der Wissenschaft gleichgeschlechtlichen Paaren attestiert wird. Gerade bei Beziehungen, die gesellschaftlich eher marginalisiert werden, kann es zu einem „Wir gegen Die“ kommen, um auf keinen Fall durch Konflikte die Beziehung zu gefährden.
Ich habe unter den vielen Fällen von Gewalt in Paarbeziehungen doch immer wieder Fälle mit gleichgeschlechtlichen Beteiligten bearbeitet. Hierbei konnten wir – auch dank sehr offener bzw. nicht vorhandener Vorgaben – die Bearbeitung sowohl in einer Kombination weiblicher und männlicher Konfliktregler:innen als auch in einer geschlechtlich homogenen Kombination durchführen. Zusammenfassend fühlte sich beides stimmig an. Wichtiger als das gelesene Geschlecht der Konfliktregler:innen war auf jeden Fall die Offenheit und Normalisierung anderer Beziehungskonstellationen als die gewohnte monogame Hetero-Paarbeziehung.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Gratwanderung zwischen Vernachlässigung und Pathologisierung die Herausforderung ist. Es bedarf einer angemessenen Berücksichtigung sexueller Orientierung und Identität in allen Bereichen. Es geht weniger darum, spezielle Regelungen, Vorgehensweisen oder Methoden zu entwickeln, sondern vielmehr um eine generelle Offenheit und Bereitschaft, sich der Vielfältigkeit von Beziehungsmodellen bewusst zu werden und mit konfliktreglerischer Neugier, Empathie und Sensibilität auf alle Menschen zuzugehen – unabhängig von ihren sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten.
Quellen und weiterführende Literatur:
- Czollek, Leah et al: Lehrbuch Gender und Queer. Grundlagen, Methoden und Praxisfelder. Studienmodule Soziale Arbeit. Juventa Verlag Weinheim und München 2009
- Göth, Margret; Kohn, Ralph: Sexuelle Orientierung. In Psychotherapie und Beratung. Springer- Verlag Berlin-Heidelberg 2014