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Geboren nach 1989?!

Am 20. November feiert die Kinderrechtskonvention ihren Geburtstag – seit 1989 verbrieft sie (unter anderem) ein Recht auf Schutz. Seit 1989 ist auch in Österreich jede Form von Gewalt in der Kindererziehung verboten.

Internationaler Tag der Kinderrechte


Das Züchtigungsrecht, das es einst erlaubte ” „… unsittliche, ungehorsame oder die häusliche Ordnung störende Kinder auf eine nicht übertriebene und ihre Gesundheit unschädliche Art zu züchtigen” ist seither finstere Vergangenheit.

Weltweit war Österreich übrigens der vierte Staat, der diesen Mindeststandard festgeschrieben hat. Und das allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch geht noch weiter: Eltern schulden ihren Kindern auch „Fürsorge, Geborgenheit und eine sorgfältige Erziehung“.

Die Überzeugung, dass Gewalt in der Erziehung nichts verloren hat, ist mittlerweile in der Gesellschaft angekommen.


Leider gibt es aber nach wie vor sehr unterschiedliche Interpretationen, was denn überhaupt Gewalt gegen Kinder ist. Die Tracht Prügel? Die Watschn? Das Niederbrüllen? Das „liebgemeinte“ Bloßstellen auf Social Media?

Im Auftrag der möwe wurden im Jahr 2022 1.000 Personen zu ihren Einstellungen zu Gewalt an Kindern befragt: 56% gaben an, die gewaltfreie Erziehung als „ideale Erziehungsform“ anzusehen. Aber nur 41% der Befragten stimmen zu, dass es Gewalt ist, wenn ein 7-jähriges Mädchen bei den handgreiflichen Streitereien der Eltern dazwischen geht.

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung steht schon lange außer Zweifel, dass das (Mit)Erleben von Gewalt auch Kinder zu Betroffenen häuslicher Gewalt macht und „im Schnittpunkt zwischen Kindesmisshandlung und -vernachlässigung und häuslicher Gewalt“ anzusiedeln ist, wie der Gewaltforscher Richard J. Gelles 2002 feststellt.

Das Aufwachsen in einer Atmosphäre von Gewalt und Demütigungen ist weit vom Anspruch der Geborgenheit entfernt. Kinder sehen und hören unmittelbar die Übergriffe oder sind mit den Folgen konfrontiert, etwa wenn sie Verletzungen sehen oder wenn sie beim Frühstück schon einer vollkommen aufgelösten Mutter gegenübersitzen.

In sehr vielen Fällen fühlen sich Kinder mitverantwortlich für die Gewalt, weil sie befürchten, sie sind nicht ordentlich genug, nicht brav genug oder in der Schule zu wenig erfolgreich. Sie erleben sich als die Auslöser der Gewalt und bleiben viel zu oft alleine mit dem Gefühl, „schuld“ zu sein. Viel zu oft finden sich Kinder auch wieder in der überfordernden Rolle von Unterstützer:innen, indem sie trösten und im besten Fall Hilfe holen. Im schlimmsten Fall gehen sie dazwischen.

Durch das Erleben häuslicher Gewalt werden Mütter- und Väterbilder erschüttert und stereotype Geschlechterrollen entwickelt. Es besteht die Gefahr, dass die zukünftigen Paarbeziehungen der Kinder ebenfalls von Gewalt geprägt sein werden.
Schon 1981 schreibt die Geschlechterforscherin Carol Hagemann-White „Misshandlung bedeutet immer auch Isolation und Zwang zur Lüge“. Dieser Satz gilt für Mütter und für Kinder. Allen fällt es schwer, Unterstützung von außen zu fordern und zu bekommen. Die Strafprozessordnung jedenfalls gewährt Minderjährigen, die Zeug:innen von häuslicher Gewalt waren, Prozessbegleitung.

Doch wie sollen Betroffene von ihren Rechten erfahren und sie geltend machen?


Das Gewaltschutzgesetz macht es möglich, dass ein polizeiliches Betretungs- und Annäherungsverbot nicht nur zumindest 14 Tage Sicherheit schafft, sondern auch eine Interventionskette anstößt, die allen Beteiligte Unterstützung ermöglicht. Seit 1. September 2021 sind Personen, gegen die ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen wird, verpflichtet, eine Gewaltpräventionsberatung im Umfang von sechs Stunden zu absolvieren.

Und bei NEUSTART ist in dieser Gewaltpräventionsberatung immer die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Gewalt auf die im Haushalt lebenden Kinder vorgesehen. Das gelingt etwa im Gespräch über Filme, die dieses Thema aufgreifen, wie die der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen – BIG e.V.: „Kennt ihr das auch“ fragen Betty, Paul, Luisa und Lotta, Jamal und Mira. Die Erfahrungen in der Gewaltpräventionsberatung zeigen, dass der überwiegende Großteil der Klienten ein „guter Papa“ sein will. Was das konkret bedeutet, wird ausführlich besprochen.

Der Wunsch, ein guter Elternteil zu sein, ist für die Motivation, ohne Einsatz von Gewalt Beziehung und Familie zu leben, ein richtiger „Booster“. „Kennen Ihre Kinder das auch?“ steht zuerst als großes Fragezeichen im Beratungsraum. Und kann im Rahmen der Gewaltpräventionsberatung zum Beginn einer intensiven Auseinandersetzung mit der eigenen Gewalttätigkeit und Gewaltbereitschaft werden. Und zum Beginn einer grundlegenden Verhaltensänderung.

Über die/den Autor:in

In der Leitung Sozialarbeit zuständig für den Themenkomplex häusliche Gewalt, die Gewaltpräventionsberatung, den elektronisch überwachten Hausarrest, die Prozessbegleitung und den Saftladen.

Nebenberuflich Lektorin an der Sigmund-Freud-Universität und Trainerin, unter anderem in der Fortbildung zur juristischen Prozessbegleitung.
Vor NEUSTART wissenschaftlich und im Opferschutz tätig.

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