NEUSTART: Frau Gosch, was war Ihre Motivation den Dachverband zu gründen?
Michaela Gosch: Den offensichtlichsten Grund kann man aus den Frauenhaus-internen Statistiken ableiten: rund ein Drittel der Klientinnen kehrt zum Gefährder zurück. Ein Teil davon kommt wieder, manche mehrmals. Ein weiterer Aspekt ist der Kinderschutz, denn wenn es gemeinsame Kinder gibt, bleibt das Familiensystem in den meisten Fällen aufrecht – auch dann, wenn es zu einer Trennung kommt. Selten kommt es sogar vor, dass wir zeitversetzt Klientinnen betreuen, die den gleichen Gefährder angeben.
Alle diese Aspekte zeigen, dass Täterarbeit ein wesentlicher Teil des Opferschutzes ist. Wenn parallel zu der Arbeit mit den Opfern niemand mit den Gefährdern arbeitet, wird es schwer, die Dynamiken, die in diesem Gewaltsystem vorherrschen, zu durchbrechen.
Wir arbeiten in der Steiermark seit mehreren Jahren im Projekt „Gewaltprävention im Familiensetting“ sehr eng mit Täterarbeitseinrichtungen und dem Kinderschutz zusammen und haben aus diesem Projekt gelernt, dass das vernetzte Arbeiten im gesamten System einen umfassenden Blick auf das Gewaltsystem ermöglicht. Dadurch gelingt es leichter, zielgerichtete Interventionen zu setzen. Im Hochrisikobereich sind es die Sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen die zeigen, dass das vernetzte Arbeiten mit allen relevanten Organisationen und Institutionen ein wesentlicher Faktor für den Opferschutz ist.
Welche Ziele und Aufgaben hat der Dachverband?
Der Dachverband hat das Ziel, im Verbund von Opferschutz- und Täterarbeitsorganisationen die Opferschutzorientierte Täterarbeit weiterzuentwickeln. Mitglied können Organisationen dann werden, wenn sie bereits Praxisprojekte in dem Bereich umsetzten oder konkrete zukünftige Projekte planen.
Wesentlich dabei ist, dass es eine ernstgemeinte Kooperationsabsicht geben muss. Wir wollen das im engen Austausch mit bestehenden europäischen Netzwerken tun und auch die Erfahrungen unserer Nachbarländer miteinbeziehen.
In den steirischen Frauenhäusern gibt es ein Gewaltpräventionstraining für die Bewohnerinnen, für das Sie NEUSTART beauftragen. Wie sind Ihre Erfahrungen damit?
Wir haben damit eine Lücke im Präventionssystem geschlossen. Ziel unserer Arbeit als Opferschutzeinrichtung ist es, gewaltfreie Räume zu schaffen und um das zu erreichen, versuchen wir alle Aspekte von Gewaltdynamiken zu berücksichtigen. Es geht darum, den betroffenen Frauen Hintergrundwissen über Gewaltformen und Gewaltdynamiken bzw. Täterdynamiken zu vermitteln. So können sie Warnzeichen wahrnehmen und früher aussteigen.
Es geht auch darum, eigene gewaltvolle Verhaltensweisen zu erkennen und zu durchbrechen. Wir wissen aus Wissenschaft und Praxis, dass Gewalterfahrung, vor allem wenn sie lange andauert, auch in der Form Spuren hinterlassen kann, dass man gewalttätiges Verhalten inkorporiert und dass sich Gewalt auf diese Weise auch sozial „vererben“ kann.
Kinder, die in einem Gewaltsystem aufwachsen, erwerben ein sehr viel höheres Risiko später selbst in einer gewalttätigen Beziehung zu landen. Auf Opfer- und auf Täterseite. Um diese Dynamik zu durchbrechen, müssen wir auch dort ansetzen. Das Angebot wird von den Klientinnen sehr gut angenommen und das Feedback ist durchgehend positiv.