Welche Eigenschaften haben Menschen gemeinsam, die nach § 207a und § 3g Verbotsgesetz verurteilt wurden? Gibt es überhaupt Gemeinsamkeiten oder kann uns „das“ allen passieren?
Eine gemeinsame Eigenschaft ist grenzüberschreitendes, beziehungsweise normverletzendes, Verhalten online – zum Beispiel in sozialen Medien. Oft mangelt es auch an Wissen über die strafrechtlichen Grenzen. Gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen kann normverletzendes Verhalten in beiden Fällen von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst werden, zum Beispiel von Peer-Druck, dem familiären Umfeld oder sozioökonomischen Faktoren.
Was macht NEUSTART konkret mit Klient:innen, die wegen dieser Paragrafen verurteilt wurden, was passiert bei den Terminen?
Hier muss anhand der Schwere des Straftatbestands unterschieden werden. NEUSTART bietet speziell zugeschnittene Programme für bestimmte Zielgruppen an. Zum Beispiel unser Programm „Dialog statt Hass“ bei diversioneller Erledigung oder als gerichtliche Weisung nach einer Verurteilung nach dem Verbotsgesetz oder unser neues Programm „sicher.net §207a“ – ein sexual- und sozialpädagogisches Programm für Jugendliche und junge Erwachsene.
Ziel beider Programme ist die Normverdeutlichung – also die Aufklärung über den rechtlichen Rahmen, die strafrechtlichen Grenzen und die Risiken des Internets, womit im Idealfall die Medienkompetenz im Umgang mit sozialen Medien steigt. Weitere Ziele sind eine intensive Auseinandersetzung mit dem Delikt und seinen Folgen, eine Reflexion des eigenen Verhaltens anzuregen und eine Sensibilisierung für die Auswirkungen auf die Opfer zu erreichen.
Wie unterschiedet sich die Arbeit mit Menschen, deren Ideologien schon sehr verfestigt sind, im Vergleich zu anderen, wo das noch nicht so stark der Fall ist?
Getreu dem Motto „ächte die Tat, aber achte die Täter:innen“ nehmen wir eine wertschätzende Grundhaltung gegenüber unseren Klient:innen ein. Die Auseinandersetzung mit Ideologien, vor allem wenn es sich um extremistische Ideologien handelt, setzt eine selbstreflexive Haltung und eine klare Positionierung gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit seitens der Sozialarbeiter:innen voraus. Das Ziel unserer Arbeit ist keine politische Gesinnungsänderung – aber natürlich arbeiten wir an Haltungen und Einstellungen. In den Dialog zu treten ist ein erster Ansatz, um Haltungen und Narrative kritisch zu hinterfragen und Einstellungen zu bearbeiten. Wir unterstützen die Klient:innen dabei, straffrei zu bleiben und sensibilisieren sie für die Wirkung und Folgen ihrer Taten – für die Opfer und auch für sie selbst. Durch gemeinsame, respektvolle Gespräche über die Dauer der Probezeit kann sich eine Veränderung in der politischen Meinung ergeben. Die zielgerichtete Betreuung unterstützt auch beim Distanzierungsprozess. Je verfestigter die Ideologie ist, desto schwieriger kann es sein, Motivation für einen Veränderungsprozess herzustellen. Dafür braucht es Geduld und Zeit. Neben dem notwendigen Fokus auf die Ressourcen und Bedürfnisse der Personen, wird das Augenmerk auch auf mögliche Risikopotentiale gelegt.
„Dafür braucht es Geduld und Zeit“
Über Stephanie Mayerhofer:
Vor ihrem Wechsel in die NEUSTART Vereinszentrale im Herbst 2023 war Stephanie Mayerhofer als Sozialarbeiterin und Spezialistin für die Betreuung radikalisierter Klient:innen und unser Programm „Dialog statt Hass“ bei NEUSTART Wien tätig. Zuvor hat sie im Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus und im Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus gearbeitet.