Oft ist ein anderer Umgang mit Straffälligkeit sinnvoller als eine Verurteilung – im Idealfall inklusive Wiedergutmachung. Und damit sind wir auch schon beim Thema: der Diversion.
NEUSTART begleitet Alternativen zur Strafe mit Sozialarbeit, etwa bei der Erbringung gemeinnütziger Leistungen im Rahmen der Diversion. Der Tatausgleich – ebenfalls eine diversionelle Maßnahme – wird von NEUSTART-Konfliktregler:innen professionell angeleitet. Er beruht auf den Prinzipien von „Restorative Justice“, der Herstellung des Rechtsfriedens unter Einbeziehung aller Beteiligten, bei der auch die berechtigten Anliegen der Opfer berücksichtigt werden. Das bewirkt, dass Täter:innen sich mit ihrem Fehlverhalten und dem angerichteten Leid auseinandersetzen, den Schaden wiedergutmachen und Verantwortung übernehmen müssen. Dafür ersparen sie sich eine Verurteilung.
In diesem Setting können Opfer ihre Gefühle schildern, Antworten und eine Entschuldigung einfordern. Das kann ihnen helfen, die Tat leichter zu überwinden, und es sind wichtige Schritte zur Aufarbeitung des Erlebten – für beide Seiten. Bloßes Strafen wird diesem Anspruch nicht gerecht. Oder, um die kriminalpolitischen Positionen von NEUSTART zu zitieren: „Strafe ist nur dann nachhaltig, wenn sie der Abwehr von Gefährdung und der Wiedergutmachung dient.“
Blick erweitern
Nina Brandstätter ist Konfliktreglerin bei NEUSTART Oberösterreich. In dieser Rolle moderiert sie den Tatausgleich. Am häufigsten landen Gewaltdelikte bei ihr am Tisch. Besonders langjährige Nachbarschafts- oder Familienkonflikte, bei denen persönliche Kränkungen tief sitzen, beschreibt sie als schwierig. „Es bedarf mehrerer Gespräche, um den Emotionen Raum zu geben“, sagt Nina Brandstätter. „Wenn es im Tatausgleich gelingt, dass Täter:innen ihren Blick erweitern, sich mit den Gründen für ihr Verhalten und mit der Opferperspektive auseinandersetzen, lernen sie Empathie und können in Zukunft anders handeln.“ Sie ist überzeugt, dass Beschuldigte die Bereitschaft mitbringen müssen, „in den Schuhen“ ihres Gegenübers zu gehen, damit ein Tatausgleich gelingt.
Doch welchen Nutzen ziehen Opfer daraus – und ist ihnen dieses Setting überhaupt zumutbar? Aus Erfahrung weiß Nina Brandstätter, dass ihre Unabhängigkeit und ihre Neutralität Voraussetzungen dafür sind, dass sich Opfer gehört fühlen: „Ihre Erlebnisse und besonders ihre Ängste und Wünsche werden, anders als bei Zeugenaussagen bei der Polizei oder in der Gerichtsverhandlung, ausreichend und behutsam besprochen, bevor es überhaupt zu einem Zusammentreffen mit der beschuldigten Person kommt. Sollte ein Gespräch stattfinden, wird es sorgsam mit den Opfern vorbereitet.“
Perspektivenwechsel
Als Beispiel berichtet sie vom Konflikt zweier Freunde, von denen einer dafür bekannt ist, im betrunkenen Zustand zu provozieren. So auch an jenem Abend, an dem er die Lebensgefährtin seines Freundes beleidigte, woraufhin ihn das spätere Opfer zur Rede stellte. Die Auseinandersetzung endete mit einer blutenden Bisswunde. „In den Erstgesprächen haben wir erarbeitet, wann beim Opfer der Punkt erreicht war, der es so tief getroffen hat, dass es zum Gerangel kam“, sagt Brandstätter. „Beim Beschuldigten, der mit seiner Grenzüberschreitung konfrontiert war, gelang ein emotionaler Perspektivenwechsel. So konnten die beiden Vereinbarungen für die Zukunft treffen: Mit dem Codewort ,Tatausgleich‘ wollen sie in Zukunft brisante Situationen rechtzeitig entschärfen.“
Verzicht auf formelles Strafverfahren
Diversion bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft oder das Gericht bei bestimmten Straftaten und hinreichend geklärtem Sachverhalt auf ein förmliches Strafverfahren verzichten und stattdessen eine sozialkonstruktive Alternative anbieten können. Das kann beispielsweise ein Tatausgleich sein, die Erbringung gemeinnütziger Leistungen oder eine Probezeit verbunden mit Pflichten wie Schadensgutmachung oder Bewährungshilfe. Für die Durchführung dieser Maßnahmen ist der Verein NEUSTART zuständig.
Wenn ein Strafverfahren mittels Diversion beendet wird, erfolgen kein Schuldspruch und keine formelle Verurteilung und damit auch kein Eintrag im Strafregister. Diversionelle Erledigungen kommen bei niedriger bis mittlerer Kriminalität mit bis zu fünf Jahren Strafdrohung in Frage. Sie erfordern immer die Zustimmung der Beschuldigten und beim Tatausgleich auch die der Opfer. Eine endgültige Verfahrenseinstellung erfolgt, wenn ein Diversionsangebot angenommen und positiv erfüllt wurde. Die Statistik zeigt, dass z. B. nach erfolgreichem Tatausgleich bei Körperverletzung die Rückfallwahrscheinlichkeit wesentlich geringer ist als nach einer Verurteilung. Täter setzen sich mit der Tat auseinander, übernehmen Verantwortung und lernen etwas für die Zukunft. Opfer werden gehört, können sich aktiv bei der Regelung einbringen und erhalten faire Schadenswiedergutmachung ohne zusätzliche Zivilverfahren.