Desistance from Crime: Ein Weg zurück in die Gesellschaft
Vortrag, Erfahrungsbericht, Impulsreferat und Podiumsdiskussion
Besonders beeindruckend war der Vortrag von Andrea Thelen, Initiatorin und Geschäftsführerin des Vereins „Gefangene helfen Jugendlichen Schweiz“. Sie gewährte den Teilnehmenden einen umfassenden Einblick in die Tätigkeit und Ziele des Vereins, der sich in der Schweiz für die Prävention von Jugendkriminalität einsetzt, indem ehemalige Straftäter:innen als Mentor:innen agieren und ihre eigenen Erfahrungen weitergeben.
Ein Highlight der Veranstaltung war der Erfahrungsbericht von Shane Furrer, Projektmitarbeiter des genannten Vereins. Furrer schilderte eindrucksvoll den Beginn seiner kriminellen Laufbahn im Alter von 13 Jahren. Nach mehreren Straftaten, einem Leben auf der Flucht und insgesamt fünf Jahren Haft in der größten Justizvollzugsanstalt der Schweiz, der JVA Pöschwies, wurde er am 15. Dezember 2023 entlassen. Seine Erzählung machte die emotionalen und psychischen Herausforderungen deutlich, mit denen Menschen im Strafvollzug und nach der Entlassung konfrontiert sind. Ebenso betonte er, wie entscheidend professionelle Unterstützung sein kann, um eine Rückkehr in ein kriminelles Leben zu verhindern.
Eine langfristige Unterstützung und der Zugang zu sozialen Netzwerken, Bildung und Arbeitsplätzen seien entscheidende Faktoren, die den Ausstieg aus der Kriminalität begünstigen.
Veronika Hofinger
An diesen Erfahrungsbericht knüpfte das Impulsreferat von Mag. Dr. Veronika Hofinger, stellvertretende Institutsleiterin des Instituts für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie Innsbruck, an. Sie referierte über die wissenschaftlichen Grundlagen der „Desistance from Crime“. Als Expertin auf den Gebieten Strafvollzug, Restorative Justice, Radikalisierungs- und Desistance-Forschung erklärte sie, dass der Prozess des Aufhörens von kriminellen Handlungen nicht als einmaliges Ereignis zu verstehen ist. Stattdessen ist es ein vielschichtiger Prozess, der über einen längeren Zeitraum verläuft und oft von Rückschlägen begleitet wird. Eine langfristige Unterstützung und der Zugang zu sozialen Netzwerken, Bildung und Arbeitsplätzen seien entscheidende Faktoren, die den Ausstieg aus der Kriminalität begünstigen.
In einer anschließenden, durchaus kontroversen Podiumsdiskussion wurde verschiedene Aspekte des Konzeptes „Desistance from Crime“ diskutiert, indem Shane Furrer, Mag. Dr. Hofinger, Mag. Dr. Cornelia Leitner (Anstaltsleitung Justizanstalt Feldkirch) sowie Alexandra Bahnsen, BA (Bewährungshelferin Verein NEUSTART) ihre jeweilige Perspektiven einbrachten.
Die Positionen Veranstaltung hat eindrücklich gezeigt, dass der Weg aus der Kriminalität ein langer und komplexer Prozess ist. Durch Erfahrungsberichte und wissenschaftliche Impulse wurde deutlich, wie wichtig es ist, straffällig gewordenen Menschen Perspektiven zu bieten, damit sie langfristig in die Gesellschaft integriert werden können. Der Austausch von Praxis und Forschung war für alle Teilnehmenden bereichernd und lieferte neue Impulse für die Weiterentwicklung und Umsetzung von „Desistance from Crime“ in der Arbeit mit straffällig gewordenen Menschen.
Was sind nun die zentralen Implikationen der Desistance-Forschung für die Bewährungshilfe?
Die zentralen Implikationen der Desistance-Forschung für die Bewährungshilfe betonen, dass der Prozess der Veränderung im Mittelpunkt stehen muss und individuell auf die Klient:innen zugeschnitten werden sollte. Es gibt kein einheitliches „Programm“ für alle, sondern die Unterstützung muss flexibel und auf die Bedürfnisse des Einzelnen abgestimmt sein. Motivation und Hoffnung der Klient:innen sind dabei entscheidende Faktoren, die gestärkt werden sollten, idealerweise durch eine starke, vertrauensvolle Beziehung zwischen Bewährungshelfer:in und Klient:in. Dabei sollte die Selbstbestimmung gefördert und die Handlungsfähigkeit der Klient:innen gestärkt werden, anstatt bevormundend zu agieren. Ein Fokus auf die Stärken und Ressourcen der Klient:innen ist wichtiger als die Konzentration auf Defizite. Ebenso sollten Fortschritte anerkannt und durch konkrete Maßnahmen zertifiziert werden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass nicht nur der bzw. die Klient:in, sondern auch deren soziales Umfeld, wie Familie und Community, in den Prozess einbezogen werden sollten. Schließlich wird auch besonders der Eintritt in den Arbeitsmarkt als maßgeblicher Faktor zur Vermeidung von Rückfällen betrachtet. (vgl. Hofinger 2012: 23ff)
Diese Ansätze zeigen, dass die Bewährungshilfe nicht nur eine beratende Rolle einnimmt, sondern auch als Koordinatorin zwischen verschiedenen Akteur:innen fungiert, um einen nachhaltigen Ausstieg aus der kriminellen Karrieren zu fördern.
Unsere Arbeit beim Verein NEUSTART zielt daher nicht nur auf die Vermeidung von Rückfällen ab, sondern auch auf eine tiefgreifende Veränderung, die langfristig zu einem Leben ohne Straftaten führen kann.