Das Leben in Haft wird in den täglichen Abläufen fast ausschließlich von der Justizanstalt vorgegeben. Wann muss ich aufstehen, wann muss ich schlafen gehen, wann darf ich essen oder soll arbeiten. Somit ist die Tagesstruktur weitestgehend fremdbestimmt und unveränderbar. Nach der Enthaftung ändert sich diese Vorgabe schlagartig. Von einen Tag auf den anderen sind die Menschen wieder selbst für ihren Tagesablauf verantwortlich. Das geht natürlich nicht spurlos an ihnen vorüber. Nach anfänglicher Zeit der Freude und Euphorie über die Entlassung folgt oft ein Gefühl der inneren Leere. Die Menschen fallen in eine Depression und wissen mit ihrem Leben nichts anzufangen. Dies sind „nur“ die mentalen Folgen. Doch meist sind die Betroffenen ebenfalls mit greifbaren existentiellen Bedrohungen konfrontiert.
Wohin nach der Haft?
Wenn die Miete in Haft nicht mehr bezahlt werden konnte muss die Wohnunterbringung neu organisiert werden. Doch wohin, wenn keiner aus der Familie oder dem Freundeskreis genügend Platz für eine vorübergehende Unterbringung hat, oder vielleicht keine Familie und kein soziales Netz vorhanden ist?
Hier setzt die psychosoziale Betreuung und Begleitung der Haftentlassenehilfe an. Menschen die evtl. schon mehrfach vorbestraft sind und deswegen nicht bedingt entlassen werden und somit nicht die Betreuung in der Bewährungshilfe in Anspruch nehmen können, können auf freiwilliger Basis die Betreuung durch die Haftentlassenenhilfe nutzen.
Vertraulichkeit, Respekt und Kontinuität
Im Jahr 2023 wurde in Tirol diese Betreuung von 260 Klient:innen auf eigenen Wunsch initiiert. Neben der Freiwilligkeit basiert die Betreuung auf Vertraulichkeit, Respekt, Achtsamkeit, Kontinuität und Verbindlichkeit. Gemeinsam mit den zuständigen Sozialarbeiter:innen von NEUSTART arbeiten die Klient:innen Ressourcen und Lösungsorientiert an den jeweiligen Problemlagen.
Studien zu Folge sind Klient:innen der Haftentlassenenhilfe hoch rückfallgefährdet. Deswegen ist einer der Hauptbestandteile des Hilfeangebots die gemeinsame reflexive Arbeit der Rückfallvermeidung.
Es werden sich Fragestellungen gewidmet wie „Wer oder was macht mich instabil?“ und „Welche Konfliktlösungsstrategien stehen mir zur Verfügung?“
Die Betreuung kann bereits ein halbes Jahr vor der bevorstehenden Enthaftung in Anspruch genommen werden und findet bis zu einem Jahr ab Zeitpunkt der Entlassung statt. Hauptsächlich wird die Betreuung im Einzelsetting angeboten.
NEUSTART Tirol bietet, neben anderen Einrichtungen, in Kooperation mit der Justizanstalt ebenfalls eine Entlassungsgruppe an. Im Einzel- sowie im Gruppensetting wird sich Fragestellungen gewidmet wie „Wer oder was macht mich instabil?“, „Welche Konfliktlösungsstrategien stehen mir zur Verfügung?“, „Wie kann ich meine Affekte kontrollieren?“ und „Wie kann ich mich schützen, wenn ich dünnhäutig und verletzbar bin?“.
Erfahrungsgemäß schätzen unsere Klient:innen der Haftentlassenenhilfe vor allem den Umgang bzw. die Gespräche auf Augenhöhe.