„Bisher nicht gekannte Eskalation“ titelten deutsche Medien über die „Gewaltnächte“ in Stuttgart und Frankfurt. Im Zuge von Feiern auf öffentlichen Plätzen ist es zur fortgeschrittenen Stunde zu Schlägereien mit vielen beteiligten Jugendlichen und zu Gewaltübergriffen auf die Polizei gekommen.
Doch ist das eine wirklich neue Form der Eskalation? Oder handelt es sich nicht vielmehr um ein wiederkehrendes Phänomen? Schnell wird behauptet, dass die Jugend heute gewaltbereiter sei als frühere Generationen. Ein Fakt, der sich kriminalstatistisch und durch diverse Studien widerlegen lässt. Der Historiker Bodo Mrozek zeigt auf, dass die scheinbar unerklärlichen Gewaltausbrüche ein wiederkehrendes Phänomen sind. Sei es Ende der 50er-Jahre durch die „Halbstarken“ in Deutschland oder die „Teddy Boys“ in Großbritannien oder auch die „Blousons Noirs“ in den 60er-Jahren in Frankreich. Interessant ist, dass als Erklärung in den jeweiligen Ländern die nationalen Problemlagen herangezogen wurden. In Deutschland wurde – so wie aktuell auch wieder – die Migration beziehungsweise die Herkunft der Jugendlichen als Ursache identifiziert. In Frankreich wurden die Algerier als Schuldige erkannt und in England die bestehenden Klassenkonflikte.
Es ist sicherlich noch zu früh, um Ereignisse dieser Art abschließend beurteilen zu wollen. Fest steht jedoch, dass es sich um kein neues oder einzigartiges Phänomen handelt. Ebenso klar ist, dass wir nicht nachlassen dürfen, die Ursachen für dieses Phänomen zu bearbeiten. Neue Wege zur Bekämpfung der Ursachen müssen gefunden werden und bekannte, nur halbherzig angewandte Lösungen müssen intensiviert werden. Eine These ist, dass die fehlenden sozialen Räume für Jugendliche dazu führen, dass diese sich Alternativen erschließen. Die darauffolgenden Kontrollen und Strafen werden „bekämpft“. Es dürfte sich hier aber um keine geplante Konfrontation gehandelt haben als vielmehr um eine spontane Eskalation. Es ist daher gesellschaftlich notwendig, dass wir auch in Covid-Zeiten Räume für unsere Jugend schaffen. Sie braucht Plätze, an denen sie sich ausleben kann und an denen gleichzeitig die Gefahr der unkontrollierten Ausbreitung des Virus so gut wie möglich vermieden wird.
Dr. Kristin Henning ist Leiterin von NEUSTART Tirol