Die Bereiche Microtargeting und Gamification fallen hier im Besonderen auf, weswegen im Folgenden näher auf die Hintergründe, Funktionsweisen und spezifischen Rollen dieser Techniken (die im Grunde aus dem Marketing stammen) eingegangen werden soll.
Präzise Ansprache mit großer Wirkung
Microtargeting ist eine Methode, wo durch die Analyse großer Datenmengen individuelle Profile erstellt werden, um maßgeschneiderte Botschaften an spezifische Nutzer:innengruppen zu senden. In der politischen Kommunikation wird dies beispielsweise oft genutzt, um Wähler:innen gezielt anzusprechen. Doch mittlerweile setzen auch extremistische Gruppen diese Technik ein, um potenziell empfängliche Personen mit spezifischer Propaganda zu erreichen – wobei sie diese Informationen oftmals leicht zugänglich sind, beispielsweise indem sich die Gruppierungen als Werbetreibende auf den Plattformen definieren.
Wie funktioniert Microtargeting?
„Hey, du hast tolle kritische Fragen gestellt? Wir sprechen auch genau darüber. Schau doch mal vorbei!“
Ein Beispiel für die Kontaktaufnahme von extremistischen Gruppen. Aufs Erste harmlos und positiv formuliert, weckt bei vielen Nutzer:innen Interesse. Spricht man noch dazu die gesuchte Zielgruppe an, wird die Wahrscheinlichkeit der Ansprechbarkeit stark erhöht – und hier kommt Microtargeting ins Spiel.
In den sozialen Medien, durch Suchverläufe, Likes, Kommentare und sonstige digitale Fußabdrücke werden große Mengen an persönlichen Informationen gesammelt. Mithilfe von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz werden daraus psychografische Profile erstellt, die auf Persönlichkeit, Interessen, Werten und emotionalen Zuständen basieren.
Extremistische Gruppen nutzen dann maßgeschneiderte Inhalte, um Unsicherheiten oder bestehende Überzeugungen der spezifizierten Zielgruppe auszunutzen und durch kontinuierliche Bespielung mit einseitigen Informationen und der Verstärkung von Weltanschauungen eine schrittweise Radikalisierung voran zu treiben.
„Wenn wir uns nicht wehren, werden wir und unsere Kultur ausgelöscht!“
Mit dem Ziel der Emotionalisierung werden Ängste, Wut oder Unsicherheiten bewusst angesprochen um eine stärkere Verbindung zu schaffen, welche dann durch die Algorithmen der Plattformen weiter bespielt werden. Denn durch Bubbles (Filterblasen) werden die bestehenden Interessen von Nutzer:innen weiter bespielt und verstärkt, sowie alternative Perspektiven ausgeblendet.
Weiters können im Sinne von personalisierter Propaganda individuell zugeschnittene Inhalte anhand der Profile eingesetzt werden mit dem Resultat einer stärkeren Identifizierung der Betroffenen mit der extremistischen Ideologie.
Psychologische Anreize und Belohnungen für Engagement in der Radikalisierung
Aus fachlicher Sicht beschreibt Gamification den Einsatz spielerischer Elemente in nicht-spielerischen Kontexten, um das Nutzer:innenverhalten zu beeinflussen. In sozialen Medien bedeutet dies z. B. Punkte, Ranglisten, oder diverse Belohnungssysteme, die das Engagement steigern sollen. Während Gamification im harmloseren für Marketingzwecke eingesetzt wird, nutzen extremistische Gruppen sie, um auf sich aufmerksam zu machen, Radikalisierung zu verstärken und Anhänger:innen stärker einzubinden.
Mechanismen und Anwendung der Gamification
„100 XP für jedes Tag unserer Sache an den Mauern eine Schule“
Ein Beispiel für Gamification – hier in Form einer Challenge – mit der vor allem Jugendlichen motiviert werden sollen, sich an radikalisierten oder extremistischen Inhalten zu beteiligen und ihr Ansehen in der Gruppe zu steigern. Wie funktioniert das?
Es wird ein Belohnungssystem etabliert, wo Nutzer:innen Punkte, Abzeichen oder sonstige Anerkennung für das Verbreiten radikaler oder extremistischer Inhalte erhalten. Zusätzlich können Ranglisten und Herausforderungen die Zahl der aktiv Teilnehmenden erhöhen und die Verbreitung beschleunigen.
Im Sinne einer Art von Storytelling wird die vertretende Ideologie als eine spielerische, „epische“ Mission dargestellt. In Kombination mit spielerischen Anreizen wird das das Engagement und die Attraktivität erhöht. Vor allem durch Challenges und formulierten „Heldengeschichten“ werden vor allem gezielt Jugendliche und bereits Kinder angesprochen. Hier spielt auch die Anonymität eine größere Rolle, denn durch Online-Avatare und Gamification-Elemente können potentielle Rekrut:innen in geschlossene Gruppen weiter gelockt werden, ohne dass sie sich direkt exponieren müssen.
Synergieeffekte und Gegenmaßnahmen
Besonders gefährlich wird es, wenn Microtargeting und Gamification kombiniert werden. Zielgruppenspezifische Inhalte können dann spielerisch verpackt werden, um eine besonders starke emotionale Bindung und ein hohes Engagement zu erreichen. Ein Beispiel dafür wäre, ein eigens entwickeltes Propagandaspiel, welches dann gezielt zu den vulnerablen Netznutzer:innen gebracht wird.
Doch die Lage ist zwar schwierig, aber nicht hoffnungslos. Gegenmaßnahmen sind möglich (allerdings aktuell weltweit wenig realistisch) und wären notwendig, wie beispielsweise:
- Eine strengere Regulierung von Microtargeting, wo Plattformen verpflichtet werden, den Missbrauch personalisierter Werbung für extremistische Zwecke einzuschränken.
- Eine erhöhte Transparenz und Kontrolle von Algorithmen zur Inhaltsempfehlung, um diese überprüfbarer und manipulationssicherer gestalten zu können.
- Eine stärkere Aufklärung und Medienkompetenz der Nutzer:innen, damit sie über die Mechanismen von Gamification und Microtargeting Bescheid wessen und dadurch besser vor Manipulationen schützen können.
- Nicht zuletzt auch die verstärkte Entwicklung von alternativen Gegennarrativen, die extremistischen Botschaften entgegenwirken (wobei auch hier die Algorithmen bremsend wirken)
Denn eine Kombination aus technologischer Regulierung, Bildung und gesellschaftlicher Wachsamkeit wäre notwendig und entscheidend, um diese Mechanismen in den Griff zu bekommen und ihre negativen Auswirkungen zu minimieren oder zu verhindern.