In einer komplexen und von Krisen geschüttelten Welt und in einer Gesellschaft, in der die virtuelle Kommunikation die reale zunehmend ersetzt, brauchen wir uns nicht wundern, wenn Jugendliche auf der Suche nach Identität, Halt und Gemeinschaft im Netz fündig werden.
Kristin Henning, Leiterin NEUSTART Tirol
Die Algorithmen von Sozialen Medien zeigen ungefragt gewaltverherrlichende, demokratiefeindliche und radikalisierende Videos an. Egal, ob aus jugendlicher Neugier oder aus Ablehnung: das kurze Verweilen reicht schon aus, dass immer weitere Inhalte dieser Art eingespielt werden. Mit ihren hochprofessionellen Algorithmen machen Soziale Medien die „weite Welt“ des Internets sehr klein und eng. Schnell sind Nutzer mit immer mehr vom Gleichen konfrontiert. Gegenstimmen werden nicht angezeigt. Nutzer befinden sich rasch in einer geschlossenen Blase.
In einer komplexen und von Krisen geschüttelten Welt und in einer Gesellschaft, in der die virtuelle Kommunikation die reale zunehmend ersetzt, brauchen wir uns nicht wundern, wenn Jugendliche auf der Suche nach Identität, Halt und Gemeinschaft im Netz fündig werden. „Menschenfänger“ geben einfache Antworten: Gut und Böse, richtig und falsch scheinen immer klar und eindeutig. Ein Gefühl der Gemeinschaft wird durch ein künstliches „Wir“ gegen „Sie“ erzeugt.
Was heißt dies für unserer Arbeit in der Bewährungshilfe? Wir haben speziell entwickelte Inhalte wie „Dialog statt Hass“ oder „sicher.net §207a“ in denen wir Medienkompetenz fördern. Speziell ausgebildete Kolleg:innen betreuen Jugendliche, die sich radikalisiert haben.
Aber dies löst nicht die Ursache des Problems. Es setzt erst an, nachdem es bereits zu Radikalisierung und Delikten gekommen ist. In meiner Kindheit war es verboten, dass gefährdende Werbung zu „Kinderzeiten“ im Fernsehen lief. Heute hingegen lassen wir es zu, dass in Sozialen Medien ungefiltert verherrlicht und radikalisiert wird. Und da müssen wir lernen, Grenzen zu setzen.