Wie Sie wissen, geht es in dieser Ausgabe um „in“ und „out“. Wären Klient:innen bei Neustart demnach noch im rechtlichen oder rehabilitierenden System drinnen oder sind sie schon draußen? Oder aber ist es eine Mischung?
T: Bei Neustart geht es konkret darum, dass wir nur tätig werden, wenn wir einen Auftrag bekommen, und dieser erfolgt von der Justiz über das Gericht oder über die Staatsanwaltschaft. Darum würde ich sagen, nach dieser Definition sind wir natürlich Teil des Systems. Was den Suchtbereich betrifft, haben wir sehr oft Klient:innen, die wegen Suchtdelikten, wegen Begleitkriminalität verurteilt werden und die unter anderem Bewährungshilfe als Auflage und andere Zusatzauflagen bekommen, wie Therapie, stationärer Entzug, und wir daher in ganz vielen Fällen beauftragt werden.
Wenn ich jetzt „in“ definiere: Was wir allerdings klar nicht machen, ist in der Haft zu arbeiten. Wobei der elektronisch überwachte Hausarrest eine Ausnahme darstellt, da sie keine Alternative zur Haft ist, sondern nur eine Alternative zur Haftunterbringung. Da sind wir sowohl in der Clearingphase als auch in der Betreuungsphase Partner der Justizanstalt. Hier gibt es immer wieder auch Klient:innen, die eine Suchtproblematik haben und auch Auflagen bekommen, wie regelmäßige Tests vorzulegen oder in Therapie zu gehen. Wir unterstützen, aber kontrollieren auch, ob das erledigt wird.
I: Das bedeutet also, dass der Verlauf der Rehabilitation oder Therapie in diesem Rahmen ebenfalls kontrolliert wird?
T: Ja, wobei unsere Aufgabe nur die Übermittlung der Kontrolle ist, weil die Kontrolle natürlich dem Gericht obliegt, und dieses erteilt die Weisung schon vor unserer Beauftragung. Wir unterstützen Klient:innen mit »Rat und Tat«, auch bei der Einhaltung ihrer Weisungen. Die Weisungsbestätigung ist aber Aufgabe der Klient:innen und soll an das Gericht übermittelt werden, dafür sind nicht wir verantwortlich. Wir können unterstützen, damit es nicht zu Problemen kommt, aber auch dann bekommen wir lediglich die Information, dass es nicht funktioniert hat.
Was wir sehr wohl machen, ist Weisungen in Absprache mit den Klient:innen anzuregen, wenn wir sie als unterstützend sehen, bzw. auch um Weisungsveränderungen zu bitten, wenn eine Maßnahme nicht erfolgversprechend oder momentan nicht schaffbar ist. Wir haben ganz viele Suchtklient:innen, die eine Weisung zu einer stationären Therapie bekommen, und dann scheitert es zum Teil am Mangel an geeigneten Plätzen. Nicht jeder Platz bietet auch das optimale Setting. Ganz oft haben wir mit Personen zu tun, für die das zu früh ist und es eine massive Überforderung wäre. Da kann mit der Weisung schon einmal eine ambulante Therapie beginnen.
Wir machen natürlich nichts über den Kopf der Klient:innen hinweg, aber wir unterstützen, wir rufen gemeinsam mit Klient:innen dort an und begleiten sie auch zu Erstgesprächen.
I: Vermittelt Neustart auch Klient:innen an verschiedene Einrichtungen für die Rehabilitierung und therapeutische Behandlung?
T: Wir machen natürlich nichts über den Kopf der Klient:innen hinweg, aber wir unterstützen, wir rufen gemeinsam mit Klient:innen dort an und begleiten sie auch zu Erstgesprächen. Wir beraten auch nach ihren Bedürfnissen, welche Stellen dafür geeignet wären. Dafür sind wir auch in engem Austausch mit unseren Netzwerkpartnerorganisationen. Zum Beispiel bieten wir mit Walter North, den ärztlichen Leiter vom Verein Dialog, bei uns einen Konsiliarpsychiater an, der regelmäßig zu uns in die Einrichtung in Wien kommt und auch Rezepte verschreiben kann.
Denn ein Teil unserer Klient:innen ist im Substitutionsprogramm und viele haben massive Probleme mit legalem und illegalem Substanzmissbrauch, was natürlich auch ein Grund für die Straffälligkeit ist.
I: Gibt es einen speziellen Umgang mit Klient:innen mit Suchtproblematik bei Terminen? Zusätzliche Maßnahmen, die ihr treffen müsst?
T: Ja, wir machen dann zusätzlich auch eine Suchtanamnese. Wir vernetzen uns dann auch mit den zuständigen Stellen, wie dem Grünen Kreis, dem Dialog, der Suchthilfe. Wir suchen die passende Stelle dafür auch nicht aus, denn meistens gibt es schon eine Vorauswahl von Klient:innen, die mit diesen Stellen zu tun haben. Nur sehr selten haben wir es mit Personen zu tun, die eine Suchtproblematik haben und noch nie in irgendeiner Einrichtung diesbezüglich waren.
Wir als NEUSTART werden ja erst dann tätig, wenn Personen schon mit der Justiz zu tun haben, und nicht aufgrund eines freiwilligen Impulses, sondern aufgrund einer Zwangsmaßnahme. Da waren meistens schon vorweg etliche Versuche da, die nicht gelungen sind. Aber da gilt es immer wieder, genauer hinzuschauen und sich genau auszutauschen, weil wir mit diesem Phänomen nur gemeinsam weiteres Leid verhindern können.
Leid im doppelten Sinn: das Leid für die Betroffenen und Substanzabhängigen, aber Leid natürlich auch für mögliche Opfer von Kriminalität. Sucht betrifft ja nie nur eine Person, sondern gleich das ganze Umfeld, und es gilt da wieder mehr Kontrolle über sich selbst zu gewinnen.
I: Gibt es besondere Herausforderungen bei diesen Klient:innen?
T: Ja, zweierlei. Mir fällt dann immer das sogenannte Klaviermodell ein: In welchem Stadium bekommen wir den Auftrag für die Klient:innen? Wie weit sind sie von der Suchtbefriedigung als Hauptziel gesteuert? Welche Ressourcen sind vorhanden? Wie möglich ist im Moment die Arbeit an der Resozialisierung und der Inklusion in ein halbwegs normales Leben? Auch der körperliche Abhängigkeitsgrad ist wichtig. Das sind alles Spektren. Abhängigkeiten ergeben oft eine ganze Reihe von Multiproblemlagen.
Es ist sehr selten, dass wir es mit einem abhängigen Menschen zu tun haben, bei dem alles super läuft, mit der Arbeit, mit der Wohnung, mit Beziehungen – das geht oft alles mit einher. Ganz schwierig sind natürlich diese gewalt-toxisch-symbiotischen Paarbeziehungen, wo es nicht miteinander, aber auch nicht ohne funktioniert – wo Drogen der Zusammenhalt sind, da müssen wir auf verschiedenen Ebenen arbeiten.
Nicht nur mit gesundheitsbezogenen Maßnahmen, sondern auch die Ursachen und Beweggründe für die Abhängigkeit müssen berücksichtigt werden.
I: Macht ihr vor Terminen einen Drogentest oder wie kontrolliert ihr das?
T: Nein, das machen wir nicht. Wir gehen da tatsächlich nach persönlichem Eindruck vor. Wenn eine Person zu uns in die Einrichtung kommt und sichtlich beeinträchtigt ist, dann macht ein Gespräch für niemanden Sinn. Wir machen uns dann einen neuen Termin aus. Bei uns in der Einrichtung besteht natürlich ein Drogen-Alkohol-Verbot, das heißt zum Beispiel, wenn jemand mit der Bierdose hineinkommt, dann muss die Dose weggegeben oder weggeschmissen werden.
Es bleibt aber letztendlich der Einschätzung der zuständigen Betreuer:innen überlassen, die vielleicht trotz Drogeneinnahme oder Alkoholisierung dieser Person denken, dass sie sie erreichen und zumindest ein paar wichtige Themen mit ihr besprechen können.
Unsere Aufgabe, die wir vom Auftraggeber Justiz, aber auch von der Gesellschaft bekommen, ist letztendlich, Menschen dabei zu unterstützen, dass sie nicht neuerlich straffällig werden. In Bezug auf Drogenabhängigkeit ist die Verwendung von illegalen Drogen schon straffällig und dann geht es oft einher mit Beschaffungskriminalität, um die Abhängigkeit zu befriedigen.
Das ist eine Besonderheit bei substanzabhängigen Klient:innen: zu versuchen, zumindest den Konsum so weit unter Kontrolle zu bringen, dass ein straffreies Leben, wenn auch nicht substanzfrei, möglich ist.
Substanzen werden oft nicht grundlos genommen, sondern vielleicht auch zur Eigenmedikation verwendet, um das Leben erträglicher zu machen und schwierige Situationen zu bewältigen.
I: Welche Substanzen sind denn am relevantesten in der alltäglichen Arbeit?
T: Das größte Problem haben wir mit großem Abstand mit Alkohol. Ohne ihn gäbe es deutlich weniger Affektdurchbrüche, Impulskontrollverluste und Aggressionen. Da tritt vor allem bei schwierigen Klient:innen oft ein Multisuchtverhalten auf – es gibt nicht nur eine Sucht. Ich und auch Kolleg:innen haben den Eindruck, dass die klassische Opioidabhängigkeit relativ konstant oder sogar leicht rückläufig ist, weil diese Drogen teurer, schwieriger zu bekommen sind und auch die Gefährlichkeit bekannter ist.
Rauchen und Kiffen von Cannabis-Produkten ist teils zur Normalität geworden und spielt bei unseren Klient:innen seltener eine Rolle, hat aber in bestimmten Altersgruppen sogar eine krankheitsauslösende Wirkung. Auch wenn der Substanzmissbrauch in einigen Bereichen wieder gestiegen ist, sehe ich über die Jahre hinweg eher konstante Zahlen.
Drogen, gerade bei Jugendlichen, folgen Trends und Szenen und kommen in Wellen. Die rasche Entwicklung synthetischer Drogen auf dem Markt erschwert die Einschätzung, sowohl in Bezug auf Inhaltsstoffe als auch auf ihre Legalität. Sie können enormen Schaden anrichten, was für die Beurteilung durch Gerichte, aber auch für unsere Arbeit von Bedeutung ist.
I: Wie verändert sich das Rückfallrisiko bei diesen Klient:innen? Wie sehen die Erfolgschancen aus, wenn auch kurzfristig?
T: Der große Vorteil der Bewährungshilfe ist, dass sie auf eine langfristige Perspektivenveränderung abzielt. Sie dauert in der Regel drei Jahre, wodurch wir Misserfolge aushalten können, wobei es auch von der Schwere abhängt. Aber bei substanzabhängigen Personen ist die Wahrscheinlichkeit einer kurzfristigen Verhaltensänderung einfach geringer als bei anderen Klient:innen, da neben der Kopfsteuerung auch die körperliche Abhängigkeit eine Rolle spielt.
Substanzen werden oft nicht grundlos genommen, sondern vielleicht auch zur Eigenmedikation verwendet, um das Leben erträglicher zu machen und schwierige Situationen zu bewältigen. Deshalb reicht es nicht, alle straffälligen substanzabhängigen Personen in eine Sonderanstalt der Justiz einzuweisen, um einen medizinisch kontrollierten Entzug durchzuführen.
Ich habe in meiner praktischen Arbeit durchaus immer wieder erlebt, dass Leute gut begleitet und unterstützt ein Leben mit Drogen sehr wohl bewältigen können. Es gibt viele internationale und auch österreichische Modelle, die gut funktionieren. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass der österreichische Weg mit „Therapie statt Strafe“ und kontrollierten Substitutionen ein sehr guter Ansatz ist, besonders in Wien, wo die Betreuung möglichst maßgeschneidert gestaltet wird.
I: Wie schaut die Rehabilitation von der Abhängigkeit in der Nachbetreuung, nach diesen drei Jahren in der Bewährungshilfe, weiter aus?
T: Ziel ist natürlich, möglichst zeitgerecht vor Betreuungsende auch eine weiterführende Betreuung zu organisieren. Es gibt die Möglichkeit mit Zustimmung zur Erreichung von Zielen. Gerade bei Klient:innen mit Suchtproblematik können wir entscheiden, dass diese drei Jahre zu kurz sind, und in einer freiwilligen Weiterbetreuung, d.h. nicht mehr als Zwangsmaßnahme durch das Gericht, von maximal noch einem Jahr, um z. B. eine passende Einrichtung zu finden.