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Entlassungsgruppen: Zukunftsorientierung statt Problemfokussierung

Viele inhaftierte Personen sehen ihrer Entlassung nicht nur mit Freude, sondern auch mit einer gewissen Besorgnis entgegen – denn der Übergang vom unselbständigen Haftalltag zurück in ein selbstorganisiertes Leben in Freiheit kann sich gerade zu Beginn durchaus herausfordernd gestalten.

In Zusammenarbeit mit den Sozialen Diensten unterstützt NEUSTART Insass:innen vor der Entlassung bei der Suche nach einem passenden Wohnplatz und einer Ausbildungsmöglichkeit oder einer Beschäftigung. Um langfristig straffrei zu bleiben, braucht es aber mehr – daher bietet der Verein seit vielen Jahren in Kooperation mit einigen Justizanstalten Entlassungsgruppen an. Ganz nach dem Motto „Zukunftsorientierung statt Problemfokussierung“ werden darin die individuellen Stärken und Ressourcen der Teilnehmer:innen erarbeitet und Körperübungen vorgestellt, die zur Emotionsregulation herangezogen werden können und Insass:innen bei der Bewältigung künftiger herausfordernder Situationen unterstützen sollen.

Freiwilligkeit anstelle von Zwang

Das Angebot der Entlassungsgruppen richtet sich an Insass:innen, die schon kurz vor der Entlassung stehen; die Teilnahme erfolgt freiwillig. Geleitet werden die Entlassungsgruppen durch ein Trainer:innenteam, das eine spezielle Ausbildung absolviert hat. Nach einem kurzen Erstgespräch mit interessierten Insass:innen, bei dem die Inhalte der Gruppe vorgestellt werden, erfolgt die Aufnahme in die Gruppe.

Im Zuge der Entlassungsgruppe finden dann je nach Justizanstalt 10-15 Termine in meist wöchentlichem Abstand statt. Während die ersten Einheiten in den Räumlichkeiten der jeweiligen Justizanstalt stattfinden, können die letzten Einheiten dazu verwendet werden, entlassungsrelevante Einrichtungen (wie zum Beispiel ein Büro von NEUSTART) im Zuge von Ausgängen zu besuchen oder ein  Sozialtraining in Form von Ausflügen oder Wanderungen zu machen, um das Gelernte im Alltag umzusetzen und zu integrieren.

Emotionen wahrnehmen und regulieren

Üblicherweise starten die Entlassungsgruppen mit einer Einstiegsrunde, bei der die Teilnehmer:innen eingeladen werden, kurz zu erzählen, wie es ihnen gerade geht und was sie derzeit beschäftigt. Diese Einstiegsrunden laufen in unterschiedlicher Form ab, beispielsweise kann aus bunten Postkarten eine ausgesucht und anhand dieser Karte die aktuelle Stimmung beschrieben werden. Oder es werden Bilder von Emoticons auf dem Boden aufgelegt und jede:r positioniert sich bei dem Bild, das gerade am ehesten zur Laune passt – mit dem Ziel, die eigene Stimmungslage gut wahrnehmen zu können und Verständnis für die eigenen Emotionen zu entwickeln.

Wesentlicher Inhalt der Entlassungsgruppen ist die Arbeit mit dem Körper – es geht darum, den Teilnehmer:innen zunächst ein Bewusstsein für das Zusammenspiel zwischen Körper und Psyche zu vermitteln und in weiterer Folge Methoden und Übungen zur Emotionsregulation vorzustellen und diese auch gemeinsam auszuprobieren, um herauszufinden, in welchen Situationen diese individuell herangezogen werden können.

Um gerüstet zu sein für die Herausforderungen nach der Haftentlassung, ist ein weiterer wichtiger Bestandteil der Entlassungsgruppen, den Teilnehmer:innen ihre persönlichen Stärken und Ressourcen bewusst zu machen. Dazu werden sie beispielsweise aufgefordert, von einer Situation zu erzählen, die in letzter Zeit gut gelungen ist. Die anderen Teilnehmer:innen werden gebeten, sich zu überlegen, welche guten Eigenschaften ihnen dabei an der Person aufgefallen sind und diese zu notieren. In weiterer Folge bekommt die Person dann eine ganze Liste an Eigenschaften, die andere an ihr wahrgenommen haben und die ihr selbst in den meisten Fällen gar nicht so bewusst waren und es wird dann gemeinsam überlegt, wie diese Eigenschaften künftig hilfreich sein können. Häufig kommt es bei dieser Übung zu sehr berührenden Rückmeldungen und die Teilnehmer:innen stellen fest, dass sie von ihrem Umfeld viel positiver wahrgenommen werden, als sie das selbst tun.

Mit Zuversicht in die Zukunft

Gerade zu Beginn der Entlassungsgruppen sind viele der Teilnehmer:innen noch skeptisch und manchen fällt es zunächst schwer, sich auf die Inhalte einzulassen – denn gerade in einem durchreglementierten System wie dem Strafvollzug ist es zunächst gar nicht so einfach, auf die positiven Aspekte zu achten und den eigenen Körper gut wahrzunehmen. Umso schöner ist die Arbeit in den Entlassungsgruppen, wenn dies mit der Zeit dann doch gelingt und die Teilnehmer:innen positiv gestärkt aus den Einheiten der Gruppe gehen und zuversichtlich auf die Zeit nach der bevorstehenden Entlassung blicken und mit allem ausgestattet sind, was es braucht, um ein straffreies Leben zu führen.

Über die/den Autor:in

Lisa Schwab ist seit 2016 bei NEUSTART und am Standort Wiener Neustadt für Bewährungshilfe, Gewaltpräventionsberatung, Haftentlassenenhilfe sowie elektronisch überwachten Hausarrest zuständig. Zusätzlich leitet sie ein ehrenamtliches Team.

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