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„Männer haben keine Rechte in Österreich“

Wie aktuellen Medienberichten entnommen werden kann, wurden am 23. Februar in Wien fünf Frauen* von Männern ermordet, damit wurden in der Bundeshauptstadt an einem Tag so viele Femizide begangen wie im ganzen Jahr 2023. Am heutigen 8. März wollen wir Gedanken zu einer feministischen Haltungsfrage in der Gewaltpräventionsberatung und einen möglichen Umgang damit in der Beratung teilen.

In diesem Beitrag wird durch den Begriff Frauen* von Personen gesprochen, die als Frauen gelesen und demnach wie Frauen behandelt werden, während mit dem Begriff Männer ohne Sternchen Cis-Männer gemeint sind.

Nun sitzen wir eine Woche später wieder in der Gewaltpräventionsberatung Männern gegenüber, die uns mit Aussagen konfrontieren wie: „Ich sitze hier nur, weil ich ein Mann bin“, „Männer haben keine Rechte in Österreich“. Tatsächlich zeigt sich statistisch gesehen, dass der Großteil der zugewiesenen Klient:innen männlich ist und der Großteil der gefährdeten Personen weiblich. Dennoch fühlen sich Männer, die durch ein Betretungs- und Annäherungsverbot von einer zu schützenden Person weggewiesen und damit der Gewaltpräventionsberatung zugewiesen wurden, rechtlich schlechter gestellt. Aber was steckt dahinter? Und wie kann auf solche Aussagen fachlich sinnvoll reagiert werden?

Klienten das Patriarchat erklären?

Die Feministin in mir möchte auf die historisch gewachsene Ungleichberechtigung eingehen. Möchte erklären, dass die Beratung ein nachhaltiges Ergebnis der Frauenbewegung ist. Dass das Gewaltschutzgesetz mit all seinen Maßnahmen lange erkämpft wurde, um (insbesondere – aber nicht nur) Frauen* aus Ohnmachtspositionen zu befreien. Dass Frauen*, seit es Recht gibt, tatsächlich rechtlich schlechter gestellt waren und nun das Recht erst seit wenigen Jahren keinen Unterschied mehr aufgrund des Geschlechts macht. Kurz gesagt, ich möchte das Patriarchat erklären. Aber die Erfahrung zeigt, dass es oft eher hinderlich ist, auf einen emotionalen Zustand mit theoretisch fundierten Konstrukten zu reagieren. Zielführender kann es sein, den emotionalen Zustand anzuerkennen und dem, was dahinter liegt, Raum zu geben.

Betretungs- und Annäherungsverbot als (Männlichkeits-)Krise

Wenn wir uns auf diesen Zugang einlassen, scheint es nicht verwunderlich, dass sich Männer, die es seit jeher gewohnt waren, rechtlich besser gestellt zu sein, durch ein Betretungs- und Annäherungsverbot rechtlich angegriffen und eingeschränkt fühlen. Was im Fall eines Betretungs- und Annäherungsverbotes häufig übersehen wird, ist, dass die Einschränkung dadurch legitimiert wird, dass andere (meist weibliche) Personen geschützt werden. Die Gewaltpräventionsberatung ist aufgrund einer Gesetzesänderung des Gewaltschutzgesetzes entstanden, das zum Ziel hat, dass Frauen* die gleichen Rechte auf ein selbstbestimmtes, unversehrtes Leben eingeräumt werden. Männer scheinen sich durch diese Gleichberechtigung in ihrer Machtposition angegriffen zu fühlen, sie fürchten um ihre Privilegien und erleben sich selbst als ohnmächtig und weniger wertvoll. So erleben sie – in vielen Fällen erstmalig – wie die Realität von Frauen* häufig aussieht. Dass dieses Erleben ein krisenhaftes Ereignis darstellt, ist nachvollziehbar – werden doch immerhin die eigene Unantastbarkeit und der vermeintlich sichere Platz in der Welt in Frage gestellt.

Männer und Emotionalität

Mit all dieser Unsicherheit und Emotion finden sich weggewiesene Männer bei uns in der Beratung ein und finden keine andere Erklärung für ihre Situation als „Männer haben keine Rechte mehr in Österreich…“. Dass mit der Verpflichtung zur Beratung aber auch eine ganze Reihe an Rechten einhergeht, die nicht gesetzlich normiert sind und im Alltagsleben oft wenig Platz finden, wird dabei übersehen. In der Beratung haben die Männer das Recht auf einen geschützten Raum, in dem sie als Person, ihr Erleben und ihre Emotionen, im Mittelpunkt stehen. Sie haben das Recht, gehört zu werden, in ihrer Not gesehen zu werden und sich offen ihren eigenen Anteilen zu stellen. Emotionalität von Männern ist in unserer Gesellschaft nach wie vor nur dann akzeptiert, wenn die Emotion mit Stärke konnotiert ist. Männer dürfen wütend sein. Ihre Aggression ist anerkannt und wird je nach Situation als Stärke, Durchsetzungsvermögen oder Leitungskompetenz bewertet. Trauer, Angst, Unsicherheit oder Empfindsamkeit hingegen verleihen ihnen das Attribut „schwach“. In der Beratung haben Männer das Recht, auch und insbesondere diese Emotionen wahrzunehmen und zu zeigen, sich damit auseinanderzusetzen und auch in dieser Bemühung anerkannt zu werden.

Perspektivenwechsel

Nun ist also der Raum für die erlebte Ohnmacht offen, dies ermöglicht einen Einstieg in das eigentliche Thema: Gewalt. „Auf Gewalt zu zeigen heißt immer, Machtverhältnisse zur Diskussion zu stellen.“[1] Hier scheint ein Perspektivenwechsel möglich zu werden. Wie fühlt es sich umgekehrt für Partner:innen, Kinder, Mitbewohner:innen, Eltern, Freund:innen, Kolleg:innen an, ohnmächtig zu sein? Wer übt wann über wen Macht aus? Wer trifft welche Entscheidungen? Wer kann Entscheidungen treffen und wem wird es verunmöglicht?

In diesem Raum, in dem sich diese und eine Vielzahl anderer Fragen stellen, fokussieren wir im Gespräch aber bei aller Offenheit für Emotionen und Bedürfnisse doch den wesentlichsten Aspekt des Da-Seins: die Ausübung von Gewalt zur (Wieder-)Herstellung einer auf Unterdrückung beruhenden Ordnung.[2] Das eigene Erleben von Ohnmacht ermöglicht, durch aufmerksame Begleitung, ein Hinspüren zur Ohnmächtigkeit der gewaltbetroffenen Person(en). Die Auseinandersetzung mit den eigenen gewaltvollen Anteilen erlaubt einen kritischen Blick auf die Konsequenzen eben jener – auf die Konsequenzen, die in erster Linie die betroffenen Personen zu tragen haben. Durch das Erkennen und Anerkennen dieser Auswirkungen eröffnet sich eine Möglichkeit für Veränderung, vorrangig im Denken und in weiterer Folge im Handeln.

Es ist wichtig, anzuerkennen, dass alle Menschen, wenn auch in unterschiedlicher Form und unterschiedlicher Intensität, vom Patriarchat betroffen sind. Wir wollen dieser Betroffenheit in der Beratung Raum geben, sie nutzen und so im Kleinen patriarchale Verhältnisse hinterfragen.

  • [1] Hagemann-White (2002: 29)
  • [2] vgl. (Meuser 2002: 54-57)

Ein gemeinsamer Beitrag von Nadine Pertl und Hannah Rücker, Sozialarbeiter:innen NEUSTART Wien.

Literatur:

  • Hagemann-White, Carol (2002): Gewalt im Geschlechterverhältnis als Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung und Theoriebildung. Rückblick, gegenwärtiger Stand, Ausblick. In: Gewaltverhältnisse. Feministische Perspektiven auf Geschlecht und Gewalt. Dackweiler, Regina-Maria/Schäfer, Reinhild (Hrsg.). Campus Verlag GmbH: Frankfurt am Main.

  • Meuser, Michael (2002): ‚Doing Masculinity‘ – Zur Geschlechtslogik männlichen Gewalthandelns. In: Gewaltverhältnisse. Feministische Perspektiven auf Geschlecht und Gewalt. Dackweiler, Regina-Maria/Schäfer, Reinhild (Hrsg.). Campus Verlag GmbH: Frankfurt am Main.
Über die/den Autor:in

Nadine Pertl ist Sozialarbetierin bei NEUSTART Wien. Außerdem vertritt sie die NEUSTART Belegschaft im Aufsichtsrat. Sie ist erste Vertreterin des Betriebsratsvorsitzenden.

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