Wenn es um Gewalt in der Privatsphäre geht, ist die Gewalt gegen Frauen – zurecht – im Fokus, da hier statistisch die meisten Übergriffe stattfinden. Sind allerdings Kinder in solchen Haushalten geraten sie oftmals nur ins nähere Blickfeld, wenn klar gewalttätige Handlungen gegen sie ausgeführt wurden. Als nächstes folgt dann, wenn sie bei einer Gewalttat direkte Zeugen waren. Dies ist aus meiner Sicht leider zu kurz gegriffen, mit negativen Auswirkungen auf die Kinder potentiell bis ins spätere Erwachsenenalter.
Erlebte Gewalt hat Folgen
Gewalterfahrungen (direkt oder indirekt) in der Kindheit oder im Jugendalter hängen mit schwerwiegenden emotionalen und körperlichen Folgeerscheinungen in Verbindung, welche teilweise sofort auftreten können oder sich Jahre später zeigen. Diese können u.a. sein:
- Angststörungen
- eingeschränkte Selbst- und Affektregulation
- Störungen des Sozialverhaltens bis hin zur antisozialen Persönlichkeitsstörung
- Depressionen
- Alkohol- bzw. generell Substanzenmissbrauch
- Traumata mit den damit verbundenen Auswirkungen
Auch wenn betroffene Kinder nicht direkt an Gewalthandlungen beteiligt sind – sie bekommen sie mit! Sie hören dies im Nebenzimmer bzw. bemerken und fühlen die Spannungsdynamiken vor und nach Gewalthandlungen.
Die entwicklungsbedingte Abhängigkeit von den Eltern und der generelle Entwicklungsstand führen zu einem tiefen Loyalitätskonflikt, der von den Betroffenen nicht selbst aufgelöst werden kann. Es entstehen Verwirrung, Überforderung, eigene Schuldgefühle und es kommt zum Verlust des positiven Bildes der Eltern – was zur Entstehung von Gewaltbeziehungsdynamiken bei den Opfern führen kann.
Klar ausgedrückt – die potentiellen negativen Auswirkungen mit miterlebter Gewalt entsprechen jenen von selbst erlebten Misshandlungen.
Gezielte Interventionen von Anfang an
Daher ist es so wichtig und bedeutsam, dass bei Kindern und Jugendlichen, die von Gewalt betroffen sind, von Beginn an auch von den beteiligten Institutionen gezielt interveniert wird. Dies beginnt mit der entsprechenden Reaktion der Polizei bei Einsätzen bei Gewalt in der Privatsphäre – wobei hier in den letzten Jahren eine starke Sensibilisierung stattgefunden hat – und der weiteren professionellen Betreuung und Aufarbeitung durch die Kinder- und Jugendhilfe (und deren angegliederten Stellen) oder Kinderschutzeinrichtungen und -zentren wie die möwe.
Viele Täter:innen waren in ihrer Kindheit Opfer
Denn ansonsten steigt das Risiko – abgesehen vom Leid der Opfer – dass sich der Kreis der Gewalt schließt. Viele spätere Klient:innen von NEUSTART berichten in der opferschutzorientierten Täterarbeit von den eigenen Gewalterfahrungen in der Kindheit. Sie üben Gewalt aus, um die eigene Opfererfahrung und Ohnmacht zu verdrängen. Gewalterfahrungen müssen nicht zwangsweise zu späteren kriminogenen Verhalten führen – aber die Wahrscheinlichkeit ist stark erhöht.
Daher sollten wir alle darauf achten, das oftmals stille Leiden der Betroffenen bei Gewalt als lautstarken Hilferuf zu sehen – im Sinne der Linderung der Auswirkungen für die Opfer und zur Prävention der Entstehung von zukünftigen Täter:innen.