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Mehr als Strafen – Praxisleitfaden für den justiziellen Umgang mit häuslicher Gewalt

Der Reaktion auf häusliche Gewalt kommt eine entscheidende Bedeutung zu, um die Chance auf eine gewaltfreie Zukunft zu ermöglichen. Diese Woche wurde ein Praxisleitfaden für den justiziellen Umgang mit Gewalt im sozialen Nahraum präsentiert...

Am Mittwoch zentrales Thema beim dritten Erfahrungsaustausch zum Thema „Gewalt in sozialen Nahraum“, zu dem das Bundesministerium für Justiz eingeladen hat; gestern Schlagzeile auf orf.at; in naher Zukunft handlungsleitend für die Justiz: Ein Praxisleitfaden mit Checklisten für den justiziellen Umgang mit häuslicher Gewalt:

  • Gewalttäter:innen können durch anschließende sozialarbeiterische Interventionen dabei unterstützt werden, sich mit dem eigenen gewaltbereiten und/oder gewalttätigen Verhalten auseinander zu setzen.
  • Das ist unabdingbare Voraussetzung dafür, dass in Zukunft ein Leben ohne Gewalt gelingen kann.
  • Betroffenen von häuslicher Gewalt wird durch die justizielle Reaktion signalisiert, dass ihr Verlangen nach einem sicheren Leben ohne Gewalt ernst genommen und nach Möglichkeit unterstützt wird.
    Gesamtgesellschaftlich zeigen justizielle Reaktionen auf häusliche Gewalt, dass diese nicht toleriert oder ignoriert wird.

Staatsanwaltschaft und Gericht steht mittlerweile ein breites Spektrum zur Verfügung: Neben Verurteilungen zu Geld- oder Freiheitsstrafen mit entsprechenden Weisungen, bieten vor allem diversionelle Erledigungen von Strafverfahren wegen Gewalt im sozialen Nahraum einen breiten Spielraum, der individuelle und lösungsorientierte Konsequenzen für Gewalttäter:innen zulässt.

Initiative aus der Steiermark

Federführend wurde diese Initiative von der Präsidentin des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, Magistra Caroline List, betrieben, unter Beteiligung des Gewaltschutzzentrums Steiermark, des Vereins für Männer- und Geschlechterthemen und des Vereins NEUSTART. Auf Grund der Vielfalt an Kombinationsmöglichkeiten wurden in Graz Informationsblätter erarbeitet bis hin zu empfohlenen Textbausteinen für Weisungen, die es Staatsanwält:innen und Richter:innen erleichtern sollen, die „richtige“ Antwort auf strafbares Verhalten im sozialen Nahraum zu finden.

Handlungsleitend sind dabei folgende Prinzipien:

  • Jede mit einer justiziellen Reaktion verbundene psychosoziale Maßnahme erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die zugrunde liegende Gewaltdynamik in der Partner:innenschaft/Familie durchbrochen werden kann.
  • Die Arbeit mit Täter:innen muss immer opferschutzorientiert erfolgen. Dazu hat sich Österreich bereits bei mit Ratifizierung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (kurz: „Istanbul-Konvention“) verpflichtet. Konkret bedeutet der entsprechende Artikel 16 der Istanbul-Konvention, „dass die Sicherheit, die Unterstützung und die Menschenrechte der Opfer ein vorrangiges Anliegen“ sind und dass Täter:innen-Programme wie etwa ein Anti-Gewalt-Training „in enger Zusammenarbeit mit spezialisierten Hilfsdiensten für Opfer (…) umgesetzt werden“.
  • Opferschutzorientierte Täter:innen- und Täterarbeit soll von spezialisierten Einrichtungen gewährleistet werden, die in regionalen, interinstitutionellen Kooperationsbündnissen gegen Gewalt zusammenarbeiten und Standards zur fallbezogenen Vernetzung umsetzen. Der Dachverband Opferschutzorientierte Täterarbeit entwickelt dafür entsprechende Standards weiter und bietet den institutionellen Rahmen für Aus-tausch und Vernetzung.
  • Der klare Rahmen der Bewährungshilfe und der damit geschaffene Zwangskontext unterstützt gewaltbereite und/oder gewalttätige Personen darin, die erforderliche Motivation für Verhaltensänderungen aufzubringen und aufrecht zu halten.

Die Orientierung am Opferschutz benötigt eine enge Zusammenarbeit zwischen involvierten Institutionen wie etwa Opferschutzeinrichtung, Kinder und Jugendhilfe und Täter- und Täter:innenarbeit. Um diese zu ermöglichen, ist aus datenschutzrechtlichen Erfordernissen eine Zustimmung der betroffenen Personen zum Datenaustausch erforderlich. Tipps aus der Praxis, wie etwa diese Zustimmung bereits in einer Hauptverhandlung einzuholen, erleichtern Abläufe.

Wenn es schwierig ist, eine Entscheidung auf Grund der Aktenlage zu treffen, gibt es die Möglichkeit, NEUSTART einzubinden. In einem Clearing-Prozess werden dann Sozialarbeiter:innen nach Gesprächen mit Opfern und Beschuldigten weitere Fakten ergänzen und sich zur Zweckmäßigkeit einer diversionellen Erledigung äußern.

Über die/den Autor:in

In der Leitung Sozialarbeit zuständig für den Themenkomplex häusliche Gewalt, die Gewaltpräventionsberatung, den elektronisch überwachten Hausarrest, die Prozessbegleitung und den Saftladen.

Nebenberuflich Lektorin an der Sigmund-Freud-Universität und Trainerin, unter anderem in der Fortbildung zur juristischen Prozessbegleitung.
Vor NEUSTART wissenschaftlich und im Opferschutz tätig.

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