Sexualstraftäter:innen, die bedingt aus der Haft entlassen werden, bekommen oft Bewährungshilfe angeordnet. Was ist das Besondere an der Arbeit mit diesen Klient:innen?
Kaiser: Die Herausforderungen sind groß und sehr vielfältig, denn Sexualstraftäter:in ist nicht gleich Sexualstraftäter:in. Mit einem Vergewaltiger müssen wir ganz anders arbeiten, als mit einem Missbrauchstäter. Die große Gemeinsamkeit ist, dass es während der Bewährungshilfe eine intensive Auseinandersetzung mit dem Delikt gibt und man intensiv an dem Thema Sexualität bzw. Sexualverhalten arbeitet. Das ist für Klient:innen oft schambesetzt und sehr herausfordernd – auch für Bewährungshelfer:innen.
Wie geht man mit dieser Herausforderung um?
Es ist wichtig, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Gespräche, die zutiefst in die Privatsphäre der Klient:innen eindringen, möglich machen. Deshalb ist es notwendig, die eigene Rolle gut zu erklären. Wir Bewährungshelfer:innen sind nicht die Polizei, wir sind nicht das Gericht, sondern wir sind Sozialarbeiter:innen, die mit den Klient:innen an einer Rückfallprävention arbeiten.
Wie funktioniert das?
Die Bewährungshilfe ist dabei ein Teil von einem ganzen Maßnahmenbündel. Viele Haftentlassene erhalten auch die Weisung eine Psychotherapie zu machen. Wir unterstützen dabei und kontrollieren gleichzeitig, ob die Therapiesitzungen und andere Auflagen eingehalten werden. Gleichzeitig arbeiten wir intensiv am Schaffen einer Verantwortungsübernahme und einem Problembewusstsein. Erst wenn das gelungen ist, kann man eine Veränderungsmotivation erreichen.
Was passiert, wenn deutlich wird, dass ein Problembewusstsein vorhanden ist?
Wir leisten Motivationsarbeit, die Therapie fortzusetzen und entwickeln mit den Klient:innen Handlungsalternativen. Welche Alternativen das sind, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und das gilt es in der Gesprächsführung zu erarbeiten.
Dazu ein Beispiel: Wenn jemand, der einschlägig verurteilt wurde, das Verlangen merkt, sich Missbrauchsdarstellungen im Internet anzusehen, kann es eine passende Strategie sein, genau in diesem Moment den Computer abzudrehen und Sport zu betreiben, oder einen Freund anzurufen, oder einer Arbeit nachzugehen. Was das dann im Einzelfall sein kann, muss nicht nur erarbeitet, sondern auch eingeübt werden.
Vielen fehlt es allerdings auch an einem sozialen Umfeld…
Das ist so und das ist durchaus ein Problem. Sexualstraftaten sind gesellschaftlich so geächtet, dass sich oft Freunde und Familie von Straftäter:innen abwenden. Gleichzeitig wissen wir, dass ein unterstützendes Umfeld hilft, Rückfälle zu vermeiden. Gibt es kein soziales Netz, ist auch die Einsamkeit ein Problem, das in der Bewährungshilfe besprochen wird.
Wie bereiten sich Bewährungshelfer:innen auf diese besonderen Herausforderungen persönlich vor?
Sexualstraftäter:innen werden ausschließlich von Kolleg:innen betreut, die über mehr als drei Jahre Berufserfahrung verfügen. Wir haben auch einen internen Lehrgang entwickelt, in dem sich Sozialarbeiter:innen auf die Arbeit mit dieser Täter:innengruppe spezialisieren können. Die Bewährungshelfer:innen müssen selbst sehr reflektiert sein und sich intensiv mit der eigenen Betroffenheit auseinandersetzen.
Wir alle verurteilen solche Taten, aber wenn wir von vornhinein mit einer ablehnenden Haltung gegenüber den Klient:innen in die Gespräche gehen würden, dann könnten wir keine Verantwortungsübernahme erarbeiten und in letzter Konsequenz keine Rückfälle vermeiden.