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#TeamNEUSTART: Christian Spiessberger

Christian Spiessberger blickt auf fast 30 Jahre als Ehrenamtlicher zurück. Als ehemaliger Lehrer hat er einen besonders guten Draht zu jungen Klient:innen…

Bitte stell dich kurz vor. In welcher Region und seit wann engagierst du dich als ehrenamtlicher Bewährungshelfer?
Hallo, ich heiße Christian Spiessberger, bin 66 Jahre alt und komme aus Oberösterreich. Ich bin seit 1993 ehrenamtlicher Bewährungshelfer bei NEUSTART in Wels – also bald seit 30 Jahren…

Warum hast du dich für dieses Ehrenamt entschieden? Was gefällt dir daran am besten?
Ein Lehrer-Kollege vom Gymnasium Gmunden hat mich darauf angesprochen, weil er selbst schon seit einem Jahr Ehrenamtlicher bei NEUSTART war. Für mich war es in gewisser Weise eine Herausforderung, mit diesem Klientel, das ja teilweise auch aus meinen eigenen Schüler:innen bestand, zu arbeiten. Ich betreue auch jetzt noch hauptsächlich Burschen und junge Männer. Was mir taugt, ist das gute Klima im Team und dass es bei uns so ausgewogen ist. Das Verhältnis Frauen zu Männern ist bei uns seit Jahren annähernd 50:50 – der Austausch zwischen weiblicher und männlicher Perspektive in der Betreuungsarbeit ist oft wirklich interessant und erhellend.

Und was machst du hauptberuflich?
Ich war 40 Jahre lang Lehrer. Inzwischen bin ich in Pension. Begonnen habe ich in einem Gymnasium in Salzburg, dann war ich an einer Kindergartenschule und schließlich bin ich in der HAK/HAS in Gmunden gelandet. Außerdem war ich nebenberuflich 20 Jahre lang als Kommunikationstrainer tätig, vorwiegend an der Pädagogischen Hochschule in der Lehrer:innenfortbildung.

Wie ergänzen sich dein Ehrenamt und ehemaliger Hauptberuf gegenseitig? Profitiert das eine vielleicht sogar vom anderen?
Ja, das hat eindeutig voneinander profitiert. Ich habe viel in Handelsschulen unterrichtet, wo auch eher unterprivilegierte Schüler:innen hingehen. Teilweise waren diese als Zeug:innen und Beteiligte in Delikte involviert, die mir beim Ehrenamt untergekommen sind. Dass ich diese Jugendlichen und ihre Lebenswelten kannte, war da schon sehr hilfreich. In gewisser Weise konnte ich in beiden Berufen meine „Sozial- und Gesellschaftsverbesserungs“-Ambitionen als „End-68er“ realisieren (lacht).

Was sagt dein Umfeld dazu, dass du ehrenamtlicher Bewährungshelfer bist? Welche Rückmeldungen bekommst du, wenn du davon erzählst?
Also da stoße ich immer auf großes Interesse. Was mir aber schon auffällt, ist, dass in der Gesellschaft teilweise noch eine recht antiquierte Vorstellung von Sozialarbeit besteht. Ich werde zum Beispiel oft gefragt, ob ich nicht enttäuscht bin, wenn es zu Rückfällen kommt… Das Anforderungsprofil hat sich, seit ich 1993 begonnen habe, ja doch recht stark gewandelt. Damals gab es noch die berühmten gelben Zettel, auf denen „Schützling“ stand… wir waren da mehr in einer Aufsichts- und Kontrollfunktion. Die veränderte Rolle der:des Sozialarbeiter:in und die damit einhergehende Professionalisierung haben noch nicht alle mitbekommen.

Wie viele Klient:innen begleitest du derzeit?
Derzeit betreue ich fünf Burschen. Ich habe in meinen 30 Jahren als Ehrenamtlicher meistens Burschen begleitet – nur einmal war auch ein Mädchen dabei, das unbedingt einen männlichen Bewährungshelfer wollte. Da war ich dann in der Rolle des „guten Vaters“ und es ist viel weitergegangen in der Betreuungszeit.

Gibt es Klient:innen-Typen mit denen du besonders gerne und konstruktiv arbeitest? Also liegen dir bestimmte demografische Gruppen oder Delikt-Arten mehr als andere?
Ich arbeite tatsächlich gerne mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Vielleicht liegt das noch an meiner Zeit als Lehrer. Mein ältester Klient ist derzeit 35. Man muss aber dazu sagen, dass geschätzte 80-90 Prozent der Klient:innen, die wir Ehrenamtlichen vorgeschlagen bekommen, Jugendliche sind.

Gibt es so etwas wie eine typische Betreuungssituation? Wie laufen die Termine mit deinen Klient:innen ab?
Früher gab es eine Beratungsstelle, zu der wir einen Schlüssel und Zugang hatten. Derzeit gibt es hier in Gmunden kein Büro, da müsste ich nach Wels fahren. Ich treffe meine Klient:innen aber sowieso lieber im Freien und gehe mit ihnen spazieren – also nicht „face2face“ sondern „side by side“, um nicht die – für manche Klient:innen bedrohliche – Situation zu haben, sich direkt in die Augen zu „starren“ . Wenn es etwas Schriftliches zu erledigen gibt, treffen wir uns in einem Lokal, das ist aber eher selten der Fall. Manchmal mache ich auch Hausbesuche. Vor allem am Anfang der Betreuung mache ich das gerne, damit mich die Eltern der Jugendlichen auch kennenlernen können und damit ich ein Gefühl für die Lebenswelt der Klient:innen bekomme – natürlich nur, wenn die Klient:innen einverstanden sind.

Was sind die größten Herausforderungen in der Arbeit mit Straffälligen?
Eine gute Abgrenzung, auch wenn manchmal „Drama“ angesagt ist. Ich schlafe lieber eine Nacht über Dinge, bevor ich etwas überstürze. Das gelingt mir zum Glück gut, weil ich kein impulsiver Typ bin, der zu Spontanentscheidungen neigt. Natürlich ist es immer wieder auch eine Herausforderung, auf einer sachlichen Ebene zu bleiben. Aber auch das habe ich in meinen 30 Jahren als Ehrenamtlicher gelernt: Man darf die Dinge nicht auf sich selbst beziehen. Was auch herausfordernd sein kann, ist, zuerst einmal eine Beziehung zu den Klient:innen aufzubauen und sie nicht zu drängen, nicht vorzupreschen. Wir haben zum Glück mehrere Jahre Zeit für die Betreuung, es muss nicht alles in der Anfangsphase geschafft werden. Oft ist es so, dass im ersten Jahr einmal ein Herantasten passiert. Vertrauen muss aufgebaut werden, damit konstruktiv gearbeitet werden kann. Dann geht nämlich wirklich etwas weiter. Wir haben den „Luxus der Langsamkeit“. Für manche „Machertypen“ ist das sicher nicht einfach…

Woran merkst du ganz konkret, dass deine ehrenamtliche Arbeit etwas bewirkt?
Am Ende der Betreuung, wenn es Richtung Abschlussgespräch geht, merke ich oft erst, wie viel weitergegangen ist. Wie viel Vertrauen aufgebaut werden konnte, wie sich der Umgang miteinander entwickelt hat. Manche bedanken sich am Ende der Betreuung, manche treffe ich zufällig später wieder und sehe, dass meine Arbeit etwas bewirkt hat. Ich bin aber auch geduldig mit mir selbst. Was ich mache, mache ich gerne und mit ganzem Herzen und deshalb bin ich überzeugt, dass es auch etwas bewirkt. Auch wenn ich es nicht immer unmittelbar sehe, vertraue ich darauf, dass die Saat, die ich gesät habe, aufgeht. Gute Energie bewirkt etwas in dieser Welt.

Wie findest du persönlich Ausgleich zu deinem Job und Ehrenamt? Was machst du in deiner Freizeit?
Ich bin sehr naturverbunden und viel draußen unterwegs – zum Beispiel beim Bergwandern. Ich lese aber auch gerne und habe schon lange keinen Fernseher mehr. Seit ich in Pension bin, kann ich mehr Kontakt mit meinen vier erwachsenen Kindern pflegen, das ist auch ein sehr schöner Ausgleich.

Gibt es sonst noch etwas, das du mit unseren Leser:innen teilen möchtest?
Wir kochen alle nur mit Wasser. Egal wie viel sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat – Stichwort: gelber Zettel. Der persönliche Bezug zu den Klient:innen ist das Wichtigste. Auch Humor ist sehr wichtig – und vom Moralisieren sollte man sich gänzlich fernhalten. Trotz aller Veränderungen, trotz aller Technisierung, ist das Interesse an der Person, am Gegenüber, ausschlaggebend für den Erfolg der Betreuung.

Über die/den Autor:in

Laura Roth ist seit 2019 Teil des Kommunikations-Teams des Vereins NEUSTART. Ihre Schwerpunkte sind die interne Kommunikation und unsere Newsletter. In unserer Serie #TeamNEUSTART holt sie regelmäßig Kolleg:innen aus ganz Österreich vor den Vorhang

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