In Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, der Steiermark und dem Burgenland führt NEUSTART diese verpflichtenden Beratungen durch. In diesen Bundesländern wurden uns in den vergangenen zwölf Monaten 9.000 Klient:innen zugewiesen.
Bei etwa einem Drittel der Fälle kommt es beim Betretungs- und Annäherungsverbot zu keiner Anzeige. Das ist gewissermaßen der Idealfall, denn es bedeutet, dass die Polizei schon eingeschritten ist, bevor es zu einer Straftat gekommen ist. Präventiv. Und an dieser Prävention arbeiten wir dann in unseren Beratungen weiter – mit dem übergeordneten Ziel Gewalt zu verhindern und wenn sie schon passiert ist, so schnell wie möglich wieder zu stoppen.
Family-Only
90 Prozent unserer Klient:innen sind Männer. Doch wer sind diese Männer? Was haben sie gemeinsam, was unterscheidet sie? Ein Großteil von ihnen ist zuvor noch nicht straffällig gewesen. Sie sind also nicht vorbestraft oder in einem anderen Kontext mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. In der Wissenschaft wird diese Gruppe von gewalttätigen und gewaltbereiten Männern als „Family-Only-Typ“ bezeichnet. Sie sind ausschließlich in der Familie gewalttätig. Arbeitskolleg:innen und Freund:innen kennen sie oft als hilfsbereit und umgänglich und können kaum glauben, dass derjenige zuhause zuschlagen und ausrasten soll. Den Opfern wird deshalb nicht immer geglaubt. Oft zeigt sich, dass diese Männer in der Beziehung Konflikte eher vermeiden und jedenfalls kein angemessenes Instrumentarium haben, zu streiten und sich gewaltfrei für die eigenen Interessen einzusetzen. Sie haben kaum Zugang zu ihren Gefühlen und Bedürfnisse vor allem jedoch haben sie Schwierigkeiten, diese zu verbalisieren.
Der Family-Only-Typ wird in der Regel in Situationen gewalttätig, in denen er sich überfordert und hilflos fühlt. Die Gewalt geschieht in emotional hochaufgeladenen Situationen und ist Ausdruck von Ärger, Enttäuschung, Wut und Hilflosigkeit. Gerade bei diesen Klienten kann die Gewaltpräventionsberatung gut ansetzen, denn mit der entsprechenden Unterstützung können die Fähigkeiten erlernt werden, die notwendig sind, um ohne Gewalt und partnerschaftlich eine Beziehung zu führen und in dieser auch zu streiten.
Psychopathische Züge
Noch gefährlicher für potentielle Opfer sind jene Männer, die Gewalt systematisch einsetzen, um Macht und Kontrolle auszuüben. Der Hintergrund ist ein Männerbild, das Männer als dominant, stark und bestimmend sieht. Dagegen anzukommen, gelingt nicht in sechs Stunden. Mitunter handelt es sich um Männer, die auch in anderen Zusammenhängen als antisozial und gewalttätig auffallen, manche von ihnen mit psychopathischen Zügen. In diesen Fällen ist es in erster Linie wichtig, die Sicherheit der potentiellen Opfer zu erhöhen und langfristig ein Angebot für die Gewalttäter im Zwangskontext zu finden. Das kann etwa die Bewährungshilfe sein oder ein Anti-Gewalttraining.
Es ist nicht immer leicht und eindeutig, eine Unterscheidung zwischen Tätertypen zu finden. Daher ist es auch so wichtig, Informationen aus verschiedenen Perspektiven zu sammeln – zum Beispiel bei sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen, mit deren Hilfe Hochrisikofälle rechtzeitig erkannt werden sollen. Jede beteiligte Institution kann eine solche anregen, wenn sie eine besondere Gefährdung befürchtet. Das kann die Polizei sein, die Kinder- und Jugendhilfe, Opferschutzeinrichtungen oder die Gewaltprävention. Einberufen wird die Konferenz von der Sicherheitsbehörde.
Frauen
Auch Frauen kommen als Gefährde:innen in die Gewaltpräventionsberatung. Hier zeigt sich ebenfalls ein Phänomen, das in der Wissenschaft beschrieben wird. Oft sind es nämlich Fälle, in denen sich Frauen gegen einen körperlichen Übergriff wehren. Wenn die Polizei gerufen wird, kann es sein, dass das Opfer als vermeintliche Gefährderin die Wohnung verlassen muss. Dass ein so genannter „gewalttätiger Widerstand“ hinter dem vermeintlichen Übergriff stehen kann, ist den Berater:innen bewusst.
Junge
Viele junge Gefährder:innen haben einen dringenden Bedarf, ihre Impulskontrolle zu trainieren. Der Bedarf wird so nicht von ihnen empfunden oder ausgesprochen. Aber ihre Handlungsschemata zeigen, dass sie impulsiv sind, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Daran kann man mit entsprechenden Trainings arbeiten.
Die Erfahrung des letzten Jahres zeigt, dass es nichts gibt, das es nicht gibt. Umso wichtiger ist es, die Gewaltpräventionsberatung nicht isoliert zu betrachten. Das Erfolgsrezept besteht darin, unterschiedliche Interventionen auf unterschiedlichen Ebenen koordiniert einzusetzen. Das Zusammenspiel der Institutionen entscheidet darüber, ob Frauen, Kinder und auch Männer sicherer in ihren Familien und Beziehungen leben können.
Die Gewaltpräventionsberatung tritt nicht an, in Zukunft alle Femizide verhindern zu können. Wir wollen einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass gefährliche Personen identifiziert werden und dass Risiken minimiert werden. Genauso wichtig ist es, langfristig zu einer Kultur der Gewaltfreiheit beizutragen. Der Vergleich mit der Prävention in der Gesundheit liegt nahe. Es ist wichtig, ausreichend Defibrillatoren zur Verfügung zu stellen, um im Notfall Leben retten zu können. Aber es ist genauso wichtig, rechtzeitig darauf zu achten, dass es zu keinen bedrohlichen Herz-Kreislauf-Erkrankungen kommt. Diese Präventionsarbeit ist nicht spektakulär und geschieht in kleinen Schritten. Der Erfolg lässt sich nach einem Jahr nicht an Kennzahlen ablesen. Aber langfristig wird es ein unverzichtbarer Beitrag dazu sein, dass es zu weniger Gewalt kommt.
Dina Nachbauer leitet bei NEUSTART den Bereich Sozialarbeit und verantwortet in ihrer Funktion die Gewaltpräventionsberatung.